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4. September 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die Pariser Konferenz zu Libyen gibt Anlass zu folgender Stellungnahme (ohne parteipolitische Brille zu studieren) zu

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 2.9.2011:

Titelseite: „Russland erkennt libysche Rebellen an“

SZ-Artikel: „Zögerliche Helfer“ und

SZ-Kolumne: „Einladung nach Teheran“ beide von Rudolph Chimelli

Alle Zeichen deuten auf Emanzipation hin

Libyen: NATO-Kriegspräzedenz statt Präzedenz für internationale Zusammenarbeit

Der Ansehensverlust der UN im Fall Libyen ist tatsächlich enorm. Die Vereinten Nationen haben eine historische Chance vertan. Nicht nur Deutschland hat sich bekanntlich bei der Abstimmung über das Libyen-Mandat enthalten, sondern auch Russland und China unter anderen. Jedoch indem Russland und China auf ihr Veto im UN-Sicherheitsrat verzichteten, haben sie der westlichen Aggression freie Bahn gegeben. Nach dem verheerenden Präzedenzfall Irak 1991 hätten die beiden Veto-Mächte 2011 realistischer entscheiden müssen. Libyen hätte so zum Präzedenzfall für eine neue internationale Zusammenarbeit werden können. Stattdessen wurde die Sache zur weiteren Kriegspräzedenz für die NATO. Weder Moskau noch Peking dürften dem Westen noch einmal einen solchen Vertrauensvorschuss geben. Es ist deshalb verständlich und zu begrüßen, dass China zu einer formellen Anerkennung des Übergangsrates nicht bereit ist. Genauso wie Südafrika hat China den Übergangsrat nicht anerkannt.

Low-ranking Beteiligung an Pariser Konferenz zu Libyen

Die Konferenz, organisiert von den Staatsoberhäuptern David Cameron und Nicolas Sarkozy, war auf staatlicher Führungsebene geplant, um hoch hinausposaunt vor aller Welt die Aggression mit dem letztendlichen NATO-Sturm auf Tripolis zu feiern. Sarkozy und Cameron versuchten mit guter Miene die Unterstützung der Weltgemeinschaft zu gewinnen. Daraus wurde aber nichts. Die höchsten Repräsentanten Großbritanniens und Frankreichs mussten sich mit einer low-ranking Beteiligung abfinden. Anstatt des Staatsoberhaupts, wie es entsprechend dem Protokoll zu erwarten war, entsandten die Chinesen einen Vizeminister zur Konferenz ins Pariser Elysee, und aus Washington kam die unsägliche Kriegsaußenministerin, Hillary Clinton, anstatt des US-Präsidenten, Barack Obama. Während sie ihren Haupthandlanger in Europa Nicolas Sarkozy küsste, konnten sie und der französische Präsident lediglich einen Afrika-Spezialisten aus Moskau begrüßen. Der russische Präsident und der russische Außenminister ließen durch ihre Abwesenheit glänzen. Das Bundeskanzleramt hätte auch einen Afrika-Spezialisten entsenden sollen anstatt mit der Präsenz von Bundeskanzlerin zu viel der Ehre für Frankreich zu erweisen.

Ohne gewählte legitime Regierung in Libyen keine diplomatische Anerkennung

Moskau hatte schon im Juli eine Anerkennung der Rebellen abgelehnt und zusammen mit China die Luftangriffe scharf kritisiert. Deshalb klingt die Einschätzung der SZ eher als gezielte bloße Desinformation völlig außer Kontext: „Die beiden wichtigsten Kritiker des NATO-Einsatzes in Libyen haben ihre Haltung gegenüber den Rebellen revidiert.“ Es wäre natürlich im Interesse der westlichen Aggressoren, eine solche Wendung vorzutäuschen. Die Süddeutsche Zeitung ist darin Meister. Keine offizielle Erklärung weder aus dem Kreml noch aus dem Außenministerium in Moskau ist in der Süddeutschen Zeitung zu vernehmen. Diplomatische Anerkennung kommt nicht in Frage, weil bisher Libyen keine legitime gewählte Regierung hat. Eine laute „Legitimation“ aus Frankreich, Großbritannien und der USA führt lediglich dazu, den Übergangsrat vor seinem eigenen Volk und vor den Augen der Weltstaatengemeinschaft noch tiefer zu delegitimieren. De facto kann man natürlich den Rat als gegebene vorübergehende höchste Staatsmacht ansehen und mit ihm reden. Deswegen sendete Moskau ein Afrika-Spezialisten, der seinen Mund auch nicht vor der Öffentlichkeit öffnete, denn als Sachbearbeiter hat er keine Berechtigung im Namen seiner Regierung zu sprechen. Und der zweite Organisator der „Sieger-Konferenz“? Großbritannien? Weder ein Foto von David Cameron, noch eine britische Erklärung. Nur das Küsschen-Foto von Hillary und Sarkozy im Vordergrund. Auch merkwürdig für jeden Diplomaten ist die ungewöhnlich kurze Dauer des Treffens in Paris, nicht länger als 75 Minuten, also weniger als eineinhalb Stunden und dann keine gemeinsame Presseerklärung. Noch ungewöhnlicher nach so viel Brimborium um die Konferenz, ist das hastige Abendessen von weniger als einer Stunde mit den vielen Gästen. Alles deutet auf ein großes Fiasko hin, was die SZ als Sprachrohr der Pentagon-Ultras am Tag danach natürlich auf ihrer Titelseite (2.9.2011) zu vertuschen versucht.

Der NATO-Krieg hat bisher schon zu vielen Menschen das Leben gekostet, Hunderttausende zur Flucht getrieben und große Teile der Infrastruktur zerstört. Wie viele Angriffe bereits vor dem NATO-Angriff von Seiten Frankreichs, Großbritannien und der USA geflogen wurden ist nicht bekannt. Die drei Aggressoren begannen ihren Krieg bereits am 19.März. Gerade diese Länder haben sich gegen eine politische Lösung für Libyen gestellt und alle Anstrengungen der Afrikanischen Union (AU) torpediert. Der Außenminister Deutschlands bevorzugte eine politische Lösung. Der Präsident Südafrikas sprach die kriminelle Haltung Frankreichs, Großbritannien und der USA deutlich an. Diese Aggression gegen Libyen ist beschämend für alle Demokraten und für alle Demokratien der Welt.

Vor Pariser Libyen-Konferenz Übergangsrat-Vertreter in Teheran

Auch in der arabischen Welt, vor allem in den Revolutionsstaaten, herrscht keineswegs nur Jubel über die Ereignisse in Libyen. Dort registriert man sehr genau, dass jene Staaten, die den Rebellen unter die Arme gegriffen haben, nun lautstark fordern, beim Wiederaufbau Libyens, nicht zuletzt bei lukrativen Rohstoffgeschäften, bevorzugt beteiligt zu werden. „Schon jetzt lassen die Libyer keinen Zweifel daran, dass sie weder Friedenstruppen noch sonst eine ausländische Präsenz wollen. Ban Ki-Moon haben sie sogar die Entsendung von 200 Militär-Beobachtern und 190 Ausbildern für die libysche Polizei abgeschlagen.“ Dem Bericht Rudolph Chimellis zufolge („Einladung nach Teheran“ - SZ vom 2.9.2011). Daraus weiß man auch: Am Tag vor dem Treffen in Paris war der Chef des Übergangsrates, Mustafa Abdel Dschalil, in Teheran, eingeladen vom iranischen Außenminister. Das geistliche Oberhaupt Ayatollah Chameini warnte ihn davor, die USA und Israel die Früchte ernten zu lassen. Wenn die muslimischen Völker sich gegen jene stellen, die sich in ihre inneren Angelegenheiten einmischen, werden sie Fortschritte erzielen“. So der Ayatollah am 31.8.2011, Rudolph Chimellis zufolge.

Sanktionen sind überflüssig und schädlich

Die Vereinten Nationen wurden auch deshalb gegründet, um barbarische Interventionenund Angriffe wie die vom faschistischen Italien und Nazi-Deutschland im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) zu verhindern. Die Vereinten Nationen erleben seit den letzten Jahrzehnten eine gravierende Verdrehung ihrer Grundsätze und Ziele durch neue Aggressoren der Weltgeschichte, die heute als große Demokratien da stehen.

Das Unvermögen des Westens, sich der internationalen Aktualität und ihren Problemen zu stellen, ist ein Hindernis für eine friedliche Außenpolitik Europas.

Sanktionen sind überflüssig und schädlich. Dass die USA unvernünftig darauf bestehen, ist nicht nur ein Zeichen ihrer diplomatischen Niederlage, sondern auch ein Zeichen ihrer weltweit destruktiven Außenpolitik. Unter Verweis auf 13 Jahre UNO-Sanktionen gegen den Irak und mehr als eine halbes Jahrhundert lang gegen Kuba, in beiden Fällen mit katastrophalen Auswirkungen auf die Bevölkerung, warnen Diplomaten bereits vor Wirtschaftssanktionen. Auch die syrische Opposition lehnt solche Maßnahmen ab.

Nach dem Teheraner Abkommen zwischen Iran, Brasilien und der Türkei (17.5.2010) haben sich Brasilien und die Türkei für die Herrschaft des Rechts geäußert. Der türkische Premier Recep Tayip Erdogan warf den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats Unglaubwürdigkeit vor und sagte: „Es ist die Zeit gekommen, darüber zu diskutieren, ob wir an die Herrschaft des Rechts oder an das Recht der Herrschenden und Überlegenen glauben...“ (Meldung vom 20.5.2010). Diese Diskussion hat bisher nicht stattgefunden. Nicht im Sicherheitsrat, sondern im US-Senat musste die amerikanische Außenministerin am Tag nach dem diplomatischen Sieg in Teheran trotzig weiter für Sanktionen plädieren (18.5.2010). Nicht nur im Kreis der Weltstaatengemeinschaft d.h. im Kreis der 192 Nationen, die die Weltstaatengemeinschaft bilden, sondern auch im Kreis des Sicherheitsrats - der Sicherheitsrat besteht aus fünfzehn Mitglieder der Vereinten Nationen – hatte sich seitdem der Spielraum für die amerikanische Außenministerin, Hillary Clinton, verengt. Die bellende, trotzige „Diplomatie“ US-Amerikas kennzeichnet das politische Vakuum in Washington, wo US-Präsident Barack Obama in wichtigen existentiellen Problemen wie die Abrüstung und der Friedensprozess im Nahen Osten an Autorität verliert und die Fäden nicht mehr in den Händen hält.

Amerika verliert an Boden. Die Welt entzieht sich zu Recht seinem Diktat

Die bellende Aggressivität der USA ist das Resultat ihrer gescheiterten Diplomatie vor allen Augen der Welt. Amerika verliert an Boden. Die Welt entzieht sich zu Recht seinem Diktat. Jeder Diplomat und jeder politische Beobachter weiß, mit welchem beständigen Druck die USA versuchen, ihre Ziele zu erreichen. Jeder von ihnen erinnert sich daran, wie vor dem Angriff der USA auf den Irak dieser ungeheuerliche Druck im Sicherheitsrat (Februar 2003) am extremsten zu spüren war. Er reichte von Bedrohung bis zur krassen Erpressung und Bestechung.

Das Teheran Abkommen (17.5.2010) war eine unerwartete Schlappe für die USA. Danach lehnten die Türkei, Brasilien und der Libanon erneute Sanktionen gegen den Iran ab. In einem Akt der Verzweiflung begab sich Hillary Clinton zum Senat mit einer Erklärung am nächsten Tag (18.5.2010), um die reaktionären Kreise zu besänftigen. Die von der USA verlangte Sitzung des UN-Sicherheitsrats wurde vertagt und hat nie stattgefunden. Für die gesamte Welt ist schon offensichtlich, dass die USA und ihr EU-Anhängsel weiter an Einfluss verlieren, wenn Länder wie Brasilien, die Türkei und viele andere ihrem Unipolar-Solo Diktat nicht mehr folgen und in vollem Einklang mit dem Völkerrecht souverän unabhängig Weltpolitik betreiben und die Macht der Überlegenen explizit desavouieren. Bemerkenswert ist, dass die Türkei eine eindeutige Haltung zum Völkerrecht und zum zivilisierten Gewissen innerhalb der Weltstaatengemeinschaft einfordert, und das als Mitglied der NATO. Alle Zeichen deuten auf Emanzipation hin. Europa muss sich auch emanzipieren und darf nicht länger US-Protektorat bleiben.

Fehlgeleitete Maßnahmen der USA nachzuahmen, wie die Sanktionen gegen Völker, die lediglich unmenschlich letztendlich gegen die Bevölkerung wirken, ist nicht nur inhuman, sondern auch töricht und völlig sinnlos.

Die Sicherheit der Welt ist tatsächlich in Gefahr durch das Vorherrschen einer Militärmacht, die durch einen engen Kreis westlicher Mächte ausgeübt wird. Dieser enge Kreis westlicher Mächte bestimmt die internationalen Beziehungen gemäß seiner Interessen und behält sich vor, UN-Sicherheitsrats-Resolutionen entsprechend auszulegen und sie gemäß dieser partikuläre Auslegung am Rand der Mehrheit desselben UN-Rates durchzusetzen.

Europa muss Willen äußern, alle Atomwaffen von europäischem Boden zu beseitigen

Ein Recht achtender Staatsmann wie der deutsche Außenminister Guido Westerwelle sollte sein vernünftiges Vorhaben, die nuklearen Waffen aus Europa wegzuschaffen, zusammen mit seinen europäischen Kollegen erneut auf die Tagesordnung bringen.

Es ist an der Zeit, klare und deutliche Worte mit der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton darüber zu sprechen und sie vor der Weltöffentlichkeit mit der Forderung nach Beseitigung aller Kernwaffen zu konfrontieren. Die legitimen Sicherheitsinteressen und Sorgen Europas sind nicht zu ignorieren, schon gar nicht von einem engen Partner Europas wie die USA. Kristallklar muss Europa gegenüber den USA seinen Willen äußern, alle Atomwaffen von europäischem Boden zu beseitigen.

Der Außenminister Guido Westerwelle ist der erste Außenminister Deutschlands, der sich ernsthaft dieses existentielle notwendige Vorhaben zur Aufgabe gemacht hat. Die Abrüstung ist eine schlüssige Sache für Deutschland, wie der Außenminister Guido Westerwelle eindeutig im Bundestag erklärte (11.11.2010), wozu von SPD und Grünen nichts zu vernehmen war. Dank Westerwelles diplomatischen Anstrengungen konnte die Pflicht zur Abrüstung zum ersten Mal als NATO-Aufgabe in der NATO-Gipfel-Erklärung festgeschrieben werden (Lissabon, 20.11.2010.) Die Bundeskanzlerin teilt natürlich auch dieses Projekt ihres Außenministers. Und Verteidigungsminister Thomas de Mazière. Ein erstklassiges Team, vollkommen zuverlässig.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait