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14. August 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Der Artikel zu Libyen "Kolonialkrieg gegen Afrika. Hintergrund. Der Krieg gegen Libyen" von Joachim Guilliard in der Tageszeitung "Junge Welt" erschien mit einem zweiten Teil am 28.7.2011, der hier in folgender Stellungnahme in Auszügen wiedergegeben wird, wiederum mit Bezug zu Artikeln in der Süddeutschen Zeitung

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 10.8.2011:
„Libyens Rebellen in der Krise“ von Sonja Zekri

und vom 11.8.2011
„Rückschläge an allen Fronten“ von Tomas Avenarius

Junge Welt (jW) vom 28.7.2011:
„Kolonialkrieg gegen Afrika. Hintergrund. Der Krieg gegen Libyen.
Teil II: Kampf um die Reichtümer des Landes und die Dominanz über den gesamten Kontinent“ von Joachim Guilliard

Ein echter afrikanischer Patriot

Der Journalist Joachim Guilliard klärt uns weiter auf, warum der Westen Gaddafi jagt, und zwar in seinem Artikel „Kolonialkrieg gegen Afrika. Hintergrund. Der Krieg gegen Libyen. Teil II: Kampf um die Reichtümer des Landes und die Dominanz über den gesamten Kontinent“. (Junge Welt vom 28.7.2011):

„Libyen verfügt über die größten nachgewiesenen Ölreserven Afrikas und steht weltweit auf Platz acht. Libyen liegt daher mit einer Fördermenge von etwa 1,7 Millionen Barrel Rohöl am Tag (bpd) hinter Angola und Nigeria. Nur in zwei Ländern sieht die Ölbranche das Potential, die Produktion in absehbarer Zeit verdoppeln zu können – in Libyen und im Irak. Libyen plant jedoch lediglich eine Steigerung auf 2,3 Million bpd. Aus Sicht der Ölmultis liegt allein hier schon ein erhebliches, brachliegendes Potential.

In der libyschen Führung herrschen offensichtlich zwei Tendenzen vor: eine neoliberale und eine libysche. Die neoliberale setzte auf eine stärkere Privatisierung und wollte mit besseren Konditionen für westliche Konzerne und Banken mehr ausländisches Kapital anlocken. Die libysche Tendenz wollte die Kontrolle über die Ressourcen des Landes behalten und propagierte eine stärkere »Libyenisierung« der Ölproduktion. Gestützt auf die Stimmung in der Bevölkerung behielt die Libyenisierungstendenz meist die Oberhand.

Ein Einstieg in libysche Firmen und Banken blieb ausländischem Kapital weitgehend verwehrt.

Wirksamer Widerstand gegen die Privatisierungspläne kam jedoch nicht allein von alten Kadern in der Regierung und Verwaltung, sondern aus der gesamten Gesellschaft. Die öffentliche Kritik an die neoliberale Politik verschärfte sich 2005. Die Ölmultis wurden nun angewiesen, alle Jobs, für die keine speziellen Kenntnisse nötig sind, an Libyer zu vergeben, und zwar zu denselben Bedingungen wie für ausländische Angestellten. Zusätzlich wurden sie gesetzlich zu deren Weiterbildung verpflichtet.

Eine klare Absage erhielten die Pläne einer Liberalisierung der Wirtschaft und des Abbaus von Subventionen schließlich auch von den Basisvolkskongressen bei deren Sitzungen im Februar 2009. (Bericht vom FAZ-Korrespondent Christoph Ehrhardt aus Tripolis). Die Befürworter neoliberaler Reformen waren zunehmend frustriert. Ähnlich wie 1999 gegen Serbien dienen der Krieg, die Sanktionen und die immer umfassendere Zerstörung der Infrastruktur daher auch dazu, deren Widerstand zu brechen.

Afrikas Rohstoffe

Es geht jedoch nicht nur um die libyschen Ressourcen. Die gleichzeitige französische Intervention in der Elfenbeinküste wie die forcierte Ausweitung der militärischen Präsenz der USA in Afrika deuten auf weitere, über Libyen hinausgehende Ziele hin: die Sicherung und Ausweitung westlicher Dominanz auf dem gesamten Kontinent: Ein erbitterter Wettkampf um seinen Rohstoffressourcen findet statt.

„Es geht nicht nur um das libysche Öl, sondern um die afrikanischen Ölreserven und die Rohstoffe des ganzen Kontinents“, befürchtet daher auch ein Professor für Afrikanisch-Amerikanische Studien an der Temple University in Philadelphia, Molefi Asante.

Im Unterschied zu den USA und Frankreich unterhält China keine Militärstützpunkte in Afrika. Fast alle afrikanischen Länder ließen sich seither in militärische Partnerschaften einbinden. Nur fünf Staaten verweigerten sich bzw. wurden nicht gefragt: Libyen, Sudan, die Elfenbeinküste, Eritrea und Simbabwe.

In der Elfenbeinküste hat das französische Militär einen stellvertretenden Direktor des Internationalen Währungsfonds ins Präsidentenamt gehievt, der das Land jetzt in das von den USA und der NATO geformte Militärbündnis »West African Standby Force« führen wird. Der Sudan wurde geteilt, Libyen liegt unter Feuer, und Simbabwe gilt neben Syrien als wahrscheinlichster Kandidat für den nächsten Angriff der NATO-Staaten.

Die libysche Regierung boykottierte zudem die von der EU gegründete »Mittelmeerunion«, die zusammen mit der NATO darauf zielt, die arabische Welt und Nordafrika – analog zu Osteuropa – in den Herrschaftsbereich der USA und der EU einzubinden. Ghaddafi nannte sie (die Mittelmeerunion) jedoch einen »neokolonialen Trick« zur Zerstörung der arabischen und afrikanischen Einheit und blieb den Treffen fern.

Der Friedensforscher, Professor Johan Galtung, geht richtig ins Gericht mit den Hauptverantwortlichen der libyschen Tragödie. „Ankläger und Richter des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag stammen vorwiegend aus dem Westen. Die meisten Angeklagten sind Afrikaner.“

Störfaktor Libyen

Mit seinem Engagement für die wirtschaftliche Unabhängigkeit und die Einheit der afrikanischen Länder steht Libyen dem Bemühen der USA und der alten Kolonialmächte, ihren Einfluss in Afrika wieder auszuweiten, diametral entgegen.

Muammar Gaddafi ist ein echter afrikanischer Patriot. »Es war Ghaddafis Libyen, das Afrika die erste Revolution in neuester Zeit ermöglichte« Denn es war libysches Kapital, das entscheidend zur Realisierung des ersten afrikanischen Telekommunikationssatelliten beitrug. 45 afrikanischen Staaten schließen sich 1992 als Regional African Satellite Comunication Organization (RASCOM) zusammen. Über zehn Jahre lang hatten sie, vergeblich versucht, genügend Kapital für einen eigenen Satelliten aufzutreiben, um sich von den horrenden Telefongebühren europäischer und amerikanischer Firmen befreien zu können. Doch Weltbank, IWF, USA und EU hielten die Afrikaner nur hin. China und Rußland stiegen 2006 auch ins Geschäft ein, weitere Satelliten wurden in den Orbit geschossen und machten die Afrikaner Schritt für Schritt von den westlichen Systemen unabhängig.

Eine direkte Bedrohung des westlichen Einflusses ist der Aufbau dreier unabhängiger afrikanischer Finanzinstitute, mit dem die Afrikanische Union begonnen hat: die Afrikanische Investmentbank, der Afrikanische Währungsfonds und die Afrikanische Zentralbank.

Die Entwicklung dieser Institute würde es den afrikanischen Ländern ermöglichen, sich der Kontrolle von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF), die bisher als Instrumente der neokolonialen Herrschaft fungieren, zu entziehen. Der Afrikanische Währungsfonds soll zukünftig die gesamten afrikanischen Aktivitäten des IWF übernehmen. Mit Hilfe der Afrikanischen Zentralbank könnten sich die 14 ehemaligen französischen Kolonien eine neue Währung schaffen.

Siegt die Kriegsallianz, so würde das all diesen afrikanischen Unternehmungen einen schweren Schlag versetzen. Bereits jetzt sind viele Projekte, die von libyschen Unternehmen wie der Libysch-Arabisch-Afrikanischen Investment-Gesellschaft südlich der Sahara betrieben werden, durch das Einfrieren der libyschen Fonds blockiert.

Der Einsatz westlicher – insbesondere französischer – Truppen in Afrika stelle »eine neue strategische Kriegserklärung gegen Afrika, die afrikanischen Interessen und den afrikanischen Kontinent dar“. (Ende des Zitats)

Ein sofortiges Ende der Angriffe gegen Libyen ist zu fordern. Die NATO-Bestie mordet und verleugnet ihre Untaten weiter. Frauen und Kinder sind die neuesten Opfer laut BBC-Berichten. (SZ-Meldung von 11.8.2011). Die kriminelle NATO-Intervention richtet sich einseitig gegen das Regime in Tripolis und unterstützt die Kampftätigkeit der Rebellen. Sie machen auch vor zivilen Einrichtungen (Infrastruktur, Kraftwerke, Wohnhäuser) nicht Halt. Nicht nur zahlreiche zivile Menschenleben fallen den grausamen Bomben-Angriffen zum Opfer, sondern sie verursachen auch eine humanitäre Katastrophe: Die Zahl der Flüchtlinge hat sich seit Beginn des Krieges auf über eine Million Menschen vervielfacht.

Der Krieg wird nicht zum Schutz der libyschen Bevölkerung, sondern aus ökonomischen und geostrategischen Interessen des Westens geführt.

Die UN muss die Rebellen dazu drängen, einem Waffenstillstand zuzustimmen. Die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union, die schon mehrmals ein Ende der Kämpfe gefordert haben, sollten sich als Vermittler für Verhandlungen zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung hätte ihre Ablehnung des Krieges in Libyen in NATO-Kreisen bekräftigen müssen, während sie den Vorsitz des UN-Sicherheitsrates im Juli inne hatte. Leider hat sie die Chance für eine diplomatische Friedensinitiative nicht genutzt. Deutschland bleibt weit entfernt davon, eine wirksame souveräne Außenpolitik zu betreiben.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait