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14. Juni 2009 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Artikel in Süddeutsche Zeitung vom 10.6.09:
„Washington forciert Nahost-Diplomatie“
von Reymer Klüver und Julia Amalia Heyer

Legitimation Israels setzt grundsätzliches Nachdenken voraus

Die israelische Regierung ist herausgefordert, mit der iranischen Regierung durch vertrauensbildende Maßnahmen gute Beziehungen aufzubauen. Irans regionale Interessenwahrnehmung über Hisbollah und Hamas reicht direkt bis an die Grenzen Israels. Eine geographische Tatsache, die zu guten Beziehungen beider Länder verpflichtet. Drohungen sind immer kontraproduktiv. Sie verursachen Furcht und Gegendrohungen und damit eine Spirale von Spannungen mit unerwünschten Konsequenzen für alle Seiten.

"Aus Angst vor einem nuklearen Präventivschlag der Israelis werden die Iraner jede von ihnen gebaute Bombe einsetzen. Die Alternative wäre, es zulassen, daß Teheran seine Bombe hat“. Diese Ansicht im Artikel von Benny Morris der New York Times vom 18.7.2008 folgt aus der Drohung und Gegendrohung.

Die USA haben sich längst von der unberechenbarer Politik der Falken in Tel-Aviv distanziert. Schon die Bush-Regierung sendete den israelischen Partner unmißverständliche Zeichen dagegen. Als der israelische Verteidigungsminister Ehud Barack bei seinem USA-Besuch Anfang August 2008 um Tankflugzeuge gebeten hat, damit betankbare Kampfflugzeuge bei Fern-Operationen in der Luft betankt werden könnten und damit ihre Reichweite bis nach Iran und zurück nach Israel reichen würde, verweigerte die Bush-Regierung den Verkauf, weil sie fürchtete, solch eine Transaktion könnte als Unterstützung für einen israelischen Angriff auf den Iran interpretiert werden, (laut israelischer Zeitung Haaretz vom 21.8.2008). Die US-Regierung verweigerte bisher ebenfalls die Überflugrechte für israelische Kampfflugzeuge über den Irak. Der Verteidigungsminister von Barack Obama, Robert Gates, derselbe Verteidigungsminister von George W.Bush, hat sich wiederholt gegen einen Angriff auf Teheran ausgesprochen und Israel gemahnt, ihn mit allen Konsequenzen allein verantworten zu müssen. Höchst wahrscheinlich wird Israel auf einen solchen Wahnsinn verzichten. Ein Grund mehr, die kriegerische Rhetorik zu beseitigen, um sich auf einen Weg der Annäherung und Verständigung einzulassen, ohne Mißverständnisse, ohne Mißtrauen.

Vor dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Barack Obama in Washington (Januar 2009) war der gestartete Angriffskrieg auf Gaza am 27.12.2008 ein Versuch der israelischen Führung, Iran eine indirekte Abschreckungsbotschaft zu senden mit furchtbaren Konsequenzen für die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen. Skrupellos bestätigt Shimon Peres diese Ansicht: „Hier geht es nicht um Hamas oder Hisbollah. Hier geht es um den Iran“. Richard Falk bilanziert: „Die Menschen in Gaza wurden streng bestraft..., um andere in der Region zu warnen, daß Israel übermächtige Gewalt einsetzen wird, wann immer seine Interessen bedroht sind“, (The Independent). Diese „Politik“ ist grundsätzlich falsch. Sie führt direkt in die Katastrophe.

Die Sorge Israels vor eventuellen Atomwaffen Irans hat einen entscheidenden Punkt erreicht. Dabei geht es nicht einfach um die Interessen Israels oder der Vereinigten Staaten. Es geht darum, ein Wettrüsten im Nahen Osten zu verhindern, das die Region und die ganze Welt auf einen zutiefst gefährlichen Kurs bringen könnte. Der amerikanische Präsident Barack Obama war explizit zu diesem Punkt in Kairo (4.6.2009).

Die Kritik an den wenigen Ländern, die nuklearen Waffen besitzen, die andere Länder nicht haben, ist begründet. Kein einzelnes Land sollte aussuchen dürfen, Atomwaffen zu besitzen. Aus diesem Grund ist Israel herausgefordert zusammen mit dem Iran, auf eine Welt hinzuarbeiten, in der kein Land Atomwaffen besitzt. Abrüstungsinitiativen, die in Tel-Aviv schon existieren, sind zu aktualisieren und voranzutreiben.

Die Palästinenser müssen sich im eigenen Interesse einigen. Sie dürfen sich nicht länger gegeneinander ausspielen lassen. Die Arabische Liga sollte ihnen bei dieser erwünschten Einigung helfen. Jede Spaltung ist zu vermeiden, ebenso wie jede weitere Verschärfung der Spannungen zwischen dem schiitischen-persischen Iran und den beiden wichtigsten sunnitisch-arabischen Ländern der Region, Saudi-Arabien und Ägypten. Vor allem die Regierungen in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien sollten aufhören, überwiegend die Fatah gegen die Hamas zu unterstützen. Den wachsenden Einfluß Irans in der Region dadurch eindämmen zu glauben, erweist sich als falsch. Vielmehr wirksam und sinnvoller wäre den Iran in den gesamten Nahost-Friedensprozeß einzubeziehen. Sich dessen im Klaren möchte die Regierung in Kairo nicht in die „israelische Falle“ tappen. Das rohstoffreiche Rußland spielt eine zunehmend wichtige Rolle im Nahen und Mittleren Osten, wo Moskau über Länder wie Syrien oder Iran seine geostrategischen Interessen wahrt. In diesem Zusammenhang ist das Treffen von Präsident Obama und russischem Präsidenten Dmitri Medwedew von großer Tragweite.

Die Räumung der illegal besetzten Gebieten und der Stopp sämtlicher Siedlungs-Aktivitäten sind ein erster Schritt eines ernsthaften Friedensprozeß, der zu einem palästinensischen Staat und zur allgemeinen Legitimation des Staats Israels führen kann. Ebenso wichtig und prioritär ist die Aufhebung der Blockade gegen die Palästinenser in Gaza. Diese Aufhebung darf Israel nicht länger verschieben. Die Lage in Gaza bedeutet ein gravierendes humanitäres Problem, die eine prompte Lösung fordert. Sie ist auch eine inakzeptable Situation, die von Israel fordert, eine seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen, denn Gaza ist illegal besetztes Gebiet.

Die Legitimation Israels setzt ein neues Denken, ein grundsätzliches Nachdenken über den israelischen Staat innerhalb der Machtkreise Israels voraus. Der israelische Staat kann nicht von der Kritik entfliehen, eine ethnische Demokratie zu sein, solange er sich als „jüdischer Staat“ bezeichnet. Israel als jüdischer Staat ist nicht und kann auch nicht der Staat seiner gesamten Staatsbürger sein. Die Bezeichnung ist ausschließend und deshalb völlig unpassend im rechtsstaatlichen Sinn. Sie gibt begründeten Anlaß für die Bedenken der arabisch-palästinensischen Seite, an dem demokratisch-rechtsstaatlichen Charakter Israels zu zweifeln, weswegen sie eine radikale Transformation des hebräischen Staates verlangen.

Die meisten kritischen Stimmen rufen nach einer multinationalen und einer multisozialen multikulturellen Lösung, die zur Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikt heute oder morgen dienen könnte, weil im aktuellen Kontext eine direkte Koexistenz undenkbar wäre. Deshalb ist unbedingt erforderlich, Israel als Republik aller seiner Staatsbürger neu zu gründen, und nicht nur als Staat aller Juden Die lange restriktive Selbstbezeichnung führt langfristig zur Selbstauflösung. Das jüdische Volk muß sich öffnen als unabdingbare Voraussetzung für das ungestörte Weiterleben Israels. Palästina gehört ihm nicht allein, sondern auch seinem Brudervolk, den Palästinensern. Israel wird in dem Moment seine Legitimität vor den Augen der ganzen Welt erlangen, wenn es mit einem palästinensischen Staat innerhalb legitimer Grenzen koexistiert.

Der amerikanische Präsident Barack Obama hat bereits Ägypten und Israel einen Plan für die Schaffung eines Palästinenserstaates bis 2011 vorgelegt. Um darauf zu reagieren hat der amerikanische Präsident dem israelischen Premier Netanjahu eine Frist von sechs Wochen gesetzt. Gerechnet vom 4. Juni also bis zum 16. Juli sollten alle illegalen besetzten Gebiete geräumt sein. Die USA wollen nicht mit Schärfe oder Ultimaten gegen Israel vorgehen. Aber sie erwarten, daß Tel-Aviv im eigenen Interesse, dem Frieden durch richtige Schritte in Einvernehmen mit der arabisch- palästinensischen Bevölkerung entgegenkommt. Angebliche Vereinbarungen dagegen mit der vorigen US-Regierung wären völkerrechtswidrig, ungültig, denn die Besatzung insgesamt ist von Anfang an illegitim. Sie bildet keine Basis für die Legitimation Israels. Kompromisse sind ausgeschlossen, wie der US-Sonderbeauftrager George Mitchell bereits in London und dann in Tel-Aviv vor kurzem klarstellte. Die Regierung Tel-Avivs und jüdische Organisationen in Washington wissen Bescheid über die eindeutige entschlossene Linie der US-Regierung für einen stabilen Frieden im Nahost.

Höchst wahrscheinlich entstand der vorgeschlagene Friedensplan auf dem Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Riad am 28.3.2007, als Saudi- Arabien von den USA und der EU vergeblich das Ende des internationalen Boykotts der Palästinenser-Regierung forderte: Eine offizielle Anerkennung von Israel werde nur zustande kommen, wenn dafür die 1967 besetzten Gebiete geräumt würden. Darauf folgte der Friedensplan, der den Rückzug Israels aus dem seit 1967 im Sechs-Tage-Krieg besetzten Gebiete forderte. Ein richtiger Friedensplan ist also seit dem Treffen der Arabischen Liga in Riad am 28.3.2007 entstanden. Dieser Friedensplan ist der Ausgangspunkt für einen ernsten Friedensprozeß in Nahost.

Kurzum: Ein Palästina-Staat in den Grenzen von 1967 ist ohne wenn und aber erforderlich und dazu die Auflösung sämtlicher jüdischer Siedlungen im Westjordanland. Eine umfassende Lösung erfordert auch die seit dem Sechs-Tage-Krieg von Israel annektierte Golan-Höhe an Syrien und ein Rest von Territorium an Libanon zurückzugeben.

Die Arabische Liga in Kairo hat also klare Richtlinien für den Friedensprozeß in Nahost gesetzt, das heißt, die Grundlage eines Fahrplans zum Frieden ist schon bekräftigt.

Luz María De Stéfano de Lenkait,

Juristin und Diplomatin a.D.

LMdSdL - 2009_06_14 Legitimation Israels