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29. September 2007: UN-Vollversammlung

Rede der Bundeskanlerin Angela Merkel vor der UN-Vollversammlung

Ignoranz oder bewußte Mißachtung von grundsätzlichen Rechtsprinzipien

 

Die CDU-SPD Regierung kann ihren alten Wunschtraum, einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu bekommen, ad-acta legen. Und es ist gut so. Was bringt Deutschland unter Angela Merkel als Gutes und Neues in die UN? Sie hat Deutschland als drittrangigen Vasall der US-Regierung deklassiert und dadurch alle Erwartungen und Fortschritte zerstört, Deutschlands Außenpolitik aus der langen Bevormundung der USA zu befreien. Nie war die Repräsentation Deutschlands vor der UN-Vollversammlung so armselig und bedauerlich wie bei Angela Merkel im September 2007. Was der amerikanische Präsident Bush aus guten Gründen nicht tat, war sie prompt bereit zu tun, nämlich die israelisch-amerikanische Arbeit gegen den Iran zu leisten: Arrogant verlangte sie vom Iran, der Welt zu beweisen, daß er keine Nuklearwaffen anstrebe. Die Ignoranz oder bewußte Mißachtung von grundsätzlichen Rechtsprinzipien der Kanzlerin hat sie entblößt. Ihr Auftritt vor aller Welt erinnert an die dunkle Vergangenheit Deutschland, als die Nazis ebenso die Rechtsordnung schamlos verkehren wollten, ohne Rücksicht auf die Grundsätze der Zivilisation.

Die Kanzlerin und ihre Berater müssen wissen: Der Iran braucht niemanden etwas zu beweisen, wenn er behauptet, sein Nuklearprogramm diene zivile Zwecke. Es sind nur eine Handvoll Staaten, die das Mißtrauen konstruieren, um die Aussage des iranischen Präsidenten zu diskreditieren. Nach dem rechtlichen Grundsatz der Unschuldsvermutung fällt die Beweislast auf die wenigen, die den guten Glauben in Frage stellen und schlimmes unterstellen, nicht auf den Iran.

Die verkehrte Welt von Angela Merkel gehört gewiß nicht zu den zivilisierten Nationen, die mit einer Hypermacht im Sicherheitsrat, die sich nicht an die Rechtsordnung hält, schon genug Probleme haben. Warum sollte die Weltgemeinschaft eine weitere unberechenbare Macht wie Deutschland in einem Friedensorgan zulassen, wenn die deutsche Bundesregierung auch keine Richtlinien für eine rechtsstaatliche Außenpolitik anerkennt? Deutsche Verantwortung in militärischen Kategorien zu messen, ist einfach ungeheuerlich. Eine solche primitive wie irrsinnige Interpretation entspricht nicht den Anforderungen der Gegenwart und schafft nur neue Probleme und Gewalttätigkeiten.

Eine UNO-Reform ist lange überfällig, damit die andauernde undemokratische Verfassung der Vereinten Nationen durch eine demokratische Ordnung ersetzt wird, das heißt eine Ordnung, die das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen respektiert und nicht gestattet, wie bis jetzt häufig praktiziert, daß die Mehrheit der Weltstaatengemeinschaft von einer einzigen Veto-Stimme im Sicherheitsrat zu Fall gebracht wird. Diese ungleiche inakzeptable Lage würde sich durch ein weiteres Mitglied im Sicherheitsrat nur verschärfen im Sinne der Diktatur des Sicherheitsrats.

Welche ungeheure Ignoranz über den undemokratischen Zustand der UN-Organisation! Oder ist es reiner Zynismus, um davon profitieren zu wollen? Schon die durch die Medien wiederholte Darstellung, die mehrheitliche Staatengemeinschaft (192 Staaten) mit einer Handvoll von Veto-Mächten (5 Staaten) zu verwechseln, also die reale Weltstaatengemeinschaft zugunsten fünf Nuklear-Veto-Staaten immer wieder ignorieren zu wollen, ist eine Zumutung, die den undemokratischen Zustand der Vereinten Nationen vor der Weltöffentlichkeit tarnt.

Offenbar schreckt diese Prinzipienlosigkeit, dieser einfältige wie blinde politische Opportunismus nicht davor zurück, im Schatten von Kriegsschiffen, Kriegsflugzeugen, Blauhelmen oder Truppen die politische Verantwortung Deutschlands so zu verspielen und dadurch den verfassungsrechtlichen Rahmen zu brechen. In der Tat stellt sich die Bundesregierung in Widerspruch zu Auftrag, Geist und Buchstaben der deutschen Verfassung: Die Entgleisung zweier Ämter, Innen- und Verteidigungsministerium, ist symptomatisch. Die Menschenverachtung hat eine zu lange Geschichte in Deutschland: Sie geht auf Kaiser Wilhelm zurück, der auch seinen Traum von Glanz und Gloria nicht aufgeben wollte. Die Entwicklung der Geschichte mußte ihn überrollen. Ihm blieb nur eine ehrlose Flucht übrig.

Vor Merkels Blamage vor den Vereinten Nationen überraschte Präsident Bush die Welt mit seiner Ankündigung von Sanktionen gegen ein kleines asiatisches Land, von dem früher nie die Rede war. Bedingungslos ohne weitere Überlegung folgte ihm die deutsche Kanzlerin, indem sie dieselbe Forderung wiederholte. Daß Sanktionen keine Lösung sind, sondern die betroffene Bevölkerung nur Schaden zufügen, schien ihr nicht bekannt zu sein, um sich davon fernzuhalten. Eher glaubte sie offensichtlich mit unübertroffener Naivität, daß ihre Unterstützung des aggressiven US-Kurs gegen den Iran einen Sitz für Deutschland im Sicherheitsrat einbrächte. Was für ein einfach gestrickter Kleingeist!

Wie konnte man im Bundeskanzleramt die Bundeskanzlerin vor den Vereinten Nationen in diese blamable Lage bringen und übersehen, worum es eigentlich geht, nämlich davon abzulenken, daß die US-Linie gegenüber Iran gescheitert ist, weil Rußland und China verschärften Sanktionen nicht zustimmen wollen, jetzt nicht und auch später nicht. Davon abgesehen ist die US-Regierung an einem Erfolg ihrer geplanten Nahost-Friedenskonferenz in Washington im November interessiert. Die Schmutzarbeit gegen den Iran überläßt man jetzt deshalb dem treusten Vasallen. Eine Schande, daß diese Rolle von Deutschland wahrgenommen wird!

Daß Deutschland Mitglied der Vereinten Nationen ist, bedeutet nicht, daß es deshalb Grundsätze seiner rechtsstaatlichen Verfassung aufzugeben hat, eine Verfassung, die auf Konsens der Gesellschaft beruht. Erst recht gilt dies, wenn es darum gehen soll, "internationale Verpflichtungen" oder "internationale Verantwortung" zu übernehmen, die über den rechtsstaatlichen Rahmen unserer Gesellschaft hinausgehen.

Internationale Verantwortung zu übernehmen von einem der reichsten Länder der Welt mit großen humanistischen Traditionen und gleichfalls mit Erfahrung von schrecklichen Pervertierungen, dunkelsten Erlebnissen und Traumata kann nur heißen, die Lektion seiner Geschichte einzubringen und für das Primat rechtsstaatlicher, demokratisch legitimierter Politik einzustehen. Dieses Primat der Politik schließt aber internationale Militär-Operationen aus, auf die man sich allerdings in deutschen Machtzirkeln weiterhin einlassen will.

Deshalb muß alle politische Anstrengung der Stärkung internationaler politischer Institutionen und Mechanismen sowie diplomatischen Aktionen gelten. Darin liegt die Verantwortung Deutschlands auf internationaler Ebene. Dies ist Deutschland der Welt schuldig: Der endgültige Strich unter jegliches Denken in Militär-Doktrinen, für eine Öffnung zu friedfertigen politischen Mitteln der Rechtstaatlichkeit auf allen Ebenen internationaler Beziehungen.

Luz María De Stéfano de Lenkait,

Juristin und Diplomatin a.D.