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18. Mai 2021 - Karin Wetterau:

Kommentar zum TAZ-Artikel von Andreas Zumach:

Entlarvend für die deutsche Politik und eine exakte Beschreibung der israelischen: Das tatsächliche oder vermeintliche Sicherheitsinteresse rechtfertigt letzlich jedes Mittel - unabhängig von Gesetz und Moral. Das erleben wir gerade - mal wieder!
Ansonsten erlebe ich, dass durch die Wiederholung der Argumente - sie ist trotzdem notwendig - seit über 30 Jahren gar nichts bewegt wird. Das gilt auch für die Forderung , die deutsche Politikerkaste müsse sich "AUCH der deutschen Verantwortung für das Schicksal der Palästinenser" stellen, den mittelbaren Opfern des Holocaust . Das hat etwas Gebetsmühlenhaftes. Und es ist in mehr als einer Hinsicht verkürzt. Ebenfalls in Kürze:
Die israelische Staatsgründung ist keine Folge des Holocaust. Vor dem Hintergrund des ungeheuerlichen Menschheitsverbrechens und einer spezifischen weltpolitischen Konstellation wurde sie möglich,  und zwar auf Antrag der Sowjetunion, die dann auch als erste Israel als Staat anerkannt hat. Nicht aufgrund einer moralischen Verantwortung, sondern aus "Staatsräson".  Im beginnenden Kalten Krieg hoffte die SU, einen Staat Israel - geostrategisch wichtig -  auf seine Seite ziehen zu können. In Israel selbst spielt das Holocaustgedenken in der ersten zwei Jahrzehnten nach Staatsgründung kaum eine Rolle, im Gegenteil, die nach 1948 eingewanderten Überlebenden und DPs waren oftmals geächtet, weil sie nicht als Zionisten, sondern als Verräter an der zionistischen Sache galten.
Außer dem "Schicksal der Palästinenser" ("Schicksal" ist übrigens der falsche Begriff, die völkerrechtswidrige Situation und die katastrophale humanitäre Lage sind politisch gewollt und es muss alles daran gesetzt werden, das endlich politisch zu ändern) viele andere Opfer der NS-Verbrechen, für die ebenfalls keine oder nur sehr zögerlich Verantwortung übernommen wird, beispielsweise die 5 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die systematisch durch Hunger und Arbeit ausgerottet wurden, übrigens vor den Augen der deutschen Bevölkerung und nicht in fernen Lagern, von denen man angeblich "nichts gewusst" hatte.
Es geht aber auch gar nicht nur um die Folgen der NS-Verbrechen, sondern um deren Ursachen. Der Genozid an den europäischen Juden war Teil des rassenantisemitisch begründeten Vernichtungskriegs gegen die SU und wäre ohne ihn nicht möglich gewesen. Diese "NS-Staatsräson" auf allen Ebenen mitgetragen zu haben und an all diesen Verbrechen, ihrer Vorbereitung und Durchführung, beteiligt gewesen zu sein, ist aus meiner Sicht der Kern der deutschen Verantwortung. Eine moralisierende Parteinahme für die Opfer reicht da nicht aus, da reichen das mahnende Gedenken und unsere wunderbare Erinnerungskultur nicht, wenn sie sich den Ursachen nicht stellt.


Karin Wetteraus ist die Autorin von
Neuer Antisemitismus?  
Spurensuchen in den Abgründen einer politischen Kamapgne
Aisthesis-Verlag

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