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20. Februar 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die Vorgänge in Ägypten und einige ihrer internationalen Aspekte sind noch einmal Anlass zu einer Stellungnahme zu

Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 17.2.2011:
Leitartikel von Stefan Kornelius:
„Botschaft der Befreiung“

und SZ-Artikel von Tomas Avenarius:
„Ein Wunder in zehn Tagen“

Ägypten zwingt zu neuer Nahost-Politik

Das ägyptische Militär hat keinen Putsch durchgeführt. Die ägyptischen Offiziere als Putschisten zu bezeichnen, ist nicht richtig. Hier irrt sich die Optik von Tomas Avenarius (SZ, 17.2.2011, „Ein Wunder in zehn Tagen“).

Der Sturz von Mubarak ist in der Tat nicht durch Intervention der Militärs, sondern durch den massiven Aufstand einer Volksbewegung erfolgt. So stehen die demokratische Opposition und die populären Muslimbrüder vorerst Seite an Seite. Es war die landesweite friedliche Volksbewegung, die den ägyptischen Staatschef Hosni Mubarak zum Rücktritt zwang. Die Zivilgesellschaft und das Militär waren sich einig und überzeugt davon, einen friedlichen Machtwechsel zu schaffen. Die breite Basis des Volksaufstands ist die Mittelschicht vereint mit der Jugend und den Akademikern, also die Säule der gesamten ägyptischen Gesellschaft.

Die Forderung des deutschen Außenministers Guido Westerwelle, die EU sollte ihre gesamte Nahost-Außenpolitik überdenken und neu strukturieren, ist zu begrüßen. Die EU-Außenbeauftragte, Catherine Ashton, an die sich Guido Westerwelle wandte, hat die Zäsur im Nahen und Mittleren Osten endlich erkannt.

Allerdings sind die Überlegungen von Stefan Kornelius in seinem SZ-Leitartikel vom 17.2.2011, „Botschaft der Befreiung“ zu berücksichtigen: „Jede Bevormundung des Westens hat exakt jener Repression geholfen, die eine ganze Region erstarren ließ. Wer also der Demokratiebewegung in der arabischen Welt helfen will, der sollte keine Doktrin schreiben. Er sollte warten, bis er um Hilfe gebeten wird.“ Dieser Gedanke spiegelt sich auch in der Volksbewegung in Kairo wider, für das Angebot vom deutschen Außenminister zu danken, aber es vorläufig nicht zu akzeptieren.

Das Militär in Kairo hat den Zeitplan für den Übergang zur Demokratie präsentiert, der in einem Atem beraubenden Tempo stattfinden soll, damit keine Zeit für eine unerwünschte Einmischung aus dem Ausland bleibt. Seit dem 25. Januar stand das ägyptische Volk friedlich gegen den Despotismus von Mubarak auf. Der Westen, die USA und die EU, spielten dabei keine Rolle. Israel auch nicht. Die Volksbewegung war von der Hoffnung nach einem gerechteren Wechsel und Freiheit getragen. „Dieser Aufstand findet ohne den Westen statt...“ Gerade weil sie ihre Herrscher ohne fremde Hilfe verjagt haben, sind die ägyptischen Aufstandsbewegungen so stark, ist die Freude über die neue Freiheit so groß. „Die Demonstranten glaubten an sich und sonst keinen.“ Stefan Kornelius Bemerkung ist zutreffend und vollkommen zuzustimmen.

Am 11.2.2011 tritt der Despot zurück und das Militär übernimmt die Kontrolle des Landes, um die allgemeine Ordnung zu sichern und den Übergang zur Demokratie nach Plan zu ermöglichen. Die despotische Verfassung wird außer Kraft gesetzt und das durch gefälschte Wahlen 2010 zustande gekommene Parlament aufgelöst. 48 Stunden später kündigt das Militär freie Wahlen in sechs Monaten an. Dazu muss in zwei Monaten eine minimale Verfassung erarbeitet werden, weil die alte keine freien demokratischen Wahlen vorsieht. Das ägyptische Militär an der Seite des Volkes statuiert ein Vorbild: Sie drücken bewusst aufs Tempo, denn sie wollen das Land stabilisieren und die Macht spätestens in sechs Monaten abgeben. Dieser Respekt vor dem Primat der Politik und seine Anerkennung überrascht den Westen, der immer noch einen militärischen Putsch und das Primat des Militärs bevorzugt, weil er glaubt, dadurch die Kontrolle besser zu halten. Die gesamte Welt kann vom ägyptischen Volk und vom ägyptischen Militär lernen, was Zivilisation heißt. Die ägyptischen Offiziere haben die dringende Priorität richtig gesetzt: So bald wie möglich eine legitime zivile Regierung in Ägypten zu schaffen.

Eine vollständige Verfassungsreform oder sogar eine verfassungsgebende Versammlung kann man später erreichen. Die neue gewählte zivile Regierung muss sich damit und mit den zentralen Streitfragen beschäftigen. Das ist die große Herausforderung und Aufgabe für die Zukunft Ägyptens, aber eigentlich keine Aufgabe für das Militär. Ein faschistisches Regime hat den Menschen In Ägypten ihre Würde geraubt. Die Freiheit hat Ägypten den jungen Leuten zu verdanken. Sie haben für alle Völker ein Exempel statuiert, das in der Geschichte Ägyptens einen festen Platz haben wird. Um so mehr ist die neue ägyptische Generation zu unterstützen.

Ägypten wird keine „Roadmap“ bekommen. Gegen diesen Begriff sind alle Ägypter allergisch. Sie sehen ja bei den Palästinensern, dass solche Vorhaben zum Scheitern verurteilt sind. Sie alle respektieren das Militär, aber niemand will eine Militärregierung. Das Militär selbst muß sich von korrupten Verstrickungen befreien. Militärische Hilfe in gigantischem Ausmaß (=USD 1.300 Milliarden Dollar jährlich), wie das Militär sie aus den USA bekommt, ist weder korrekt noch zu rechtfertigen. Die militärische Kooperation ist in vielen Aspekte ein Grund zur Beunruhigung. Militärhilfe löst keine wirtschaftlichen und sozialen Probleme weder in Ägypten noch anderswo.

Natürlich ist die künstliche Debatte völlig absurd, ob demokratische Ideale unter dem Präsident Obama oder unter seinem ominösen Vorgänger effektiver verbreitet wurden. Keine Demokratie, keine Freiheit ist zu erzwingen, am wenigsten mit Gewalt, Brutalität und Kriegsaggressionen wie Bush und seine kriminelle Mannschaft schändlich für Amerika erwiesen hat. Die Zeiten, in denen der Westen anderen ein System unter dem Etikett der Demokratie aufzwingen kann, sind vorbei. Die Welt hat erkannt, was die Einmischung des Westen bedeutet: Der Westen ähnelt immer dem listigen Fuchs gegenüber dem Wiesel: „Adieu, Dieu vous sauve; ces colliers d'anguilles sont à moi et ce qui reste est pour vous.“

Jetzt muss das Land neu aufgebaut werden. Alle sollten sich daran beteiligen, Christen und Muslime. Die Diskussion über die Zukunft ist voll im Gange. Wie in Tunesien sollte sich die herrschende Partei des gestürzten Autokraten auflösen, die korrupte NDP von Mubarak.

Die Situation im Nahen Osten bleibt aber hoch gefährlich. Im Sinne der Entspannung wäre es ratsam, die USA zögen ihre Militär-Maschinerie aus dem Persischen Golf zurück. Ratsam in jeder Hinsicht: Sie sparen unproduktive ungerechtfertigte Kosten, und anstatt Konfrontation wirken sie somit für Entspannung in der Region.

Schon die Tatsache, dass der korrupte Mubarak von seiner Villa aus Scharm El Sheikh Kontakt mit dem israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak aufgenommen hat, wie vor kurzen bekanntgegeben wurde, weist auf Hochverrat hin. Der Despot will sich mit seinem Machtverlust nicht abfinden und verrät sein eigenes Volk an den israelischen Gegner, indem er das israelische Lamentoüber den Machtwechsel anheizt. Versucht der gestürzte Despot, Israel für eine Aggression gegen Ägypten anzustiften? Grund genug, den unverbesserlichen Mubarak vor ein ägyptisches Militärgericht zu bringen.

Selektive Wahrnehmungen, wenn es darum geht, Despoten und Autokraten durch die USA und EU zu akzeptieren und andere ungelegene zurückzuweisen, haben unter Demokraten keinen Platz. Daher offenbart sich als vollkommen antidemokratisch das offizielle Auftreten der israelischen Botschafterin vor den Vereinten Nationen in New York, die die Schuld für den Sturz Mubaraks dem US-Präsidenten Obama gab, genauso wie schon die USA unter Jimmy Carter die Schuld am Zusammenbruch des Schah-Regimes gehabt habe, so die Botschafterin Israels. Das zeigt, wie sehr sich das „demokratische“ Israel mit den ihnen nützlichen Despoten solidarisiert.

Ägyptens Militär steht in der ehrenhaften arabischen Tradition von Abd-el Nasser. In einer berühmten Rede entwarf dieser frühere patriotische Ministerpräsident Ägyptens ein Bild der arabischen Geschichte aus seiner ägyptischen Sicht. Seine Rede war eine große Abrechnung mit dem Kolonialismus und ein Beweis für die Vitalität der arabischen Bewegung. Zusammen mit Syrien verkündete er die Vereinigte Arabische Republik (1.2.1957) mit Kairo als Hauptstadt. „Heute fühlen sich die arabischen Völker in der Lage, die Verantwortung zu übernehmen und ihren eigenen Kampf zu führen.“ Die Worte von Abd-el Nasser sind aktueller denn je: „...wenn ein Pakt Besetzung und Fremdherrschaft und Intervention zur Folge hat, kann er eine Nation keinesfalls schützen, sie sichern oder ihre Freiheit gewährleisten. Jeder Pakt, der von einer fremden Macht oder Nation befürwortet wird, ist nichts als eine Form der Herrschaft, er ist sogar eine Form der Aggression.“

„Das Hauptproblem, dem jeder Araber gegenüber steht, ist die Suche nach einem Weg, auf dem sie sich gegen Aggression und imperialistische Unterdrückungsversuche verteidigen können. Die Geschichte gibt uns eine Lektion für die Gegenwart und eine Lektion für die Zukunft.“ So Nasser. Der Aufstand der arabischen Welt fordert den Westen heraus, eine neue Nahost-Politik zu entwickeln und die demokratische Entwicklung in Ägypten aufmerksam und mit Respekt zu verfolgen. Halten wir uns an das Demokratieverständnis, müssen wir anerkennen und die Tatsache respektieren, dass die Macht vom Volk ausgeht. Die legitime Macht.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait