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16. September 2009: Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Kommentar zum Putsch am 11.9.1973 in Chile:

Deutsche Christdemokraten: Wessen Geistes Kind sie wirklich sind. 

Die sogenannte Konsolidierung der chilenischen Unidad Popular Regierung war sachlich unmöglich. Fruchtlos hat der sozialistische Präsident Allende in wiederholten Gesprächen mit den Christdemokraten versucht, sie zu erreichen. Das letzte Gespräch fand im Haus von Kardinal Raúl Silva Henríquez statt (August 1973), der persönlich die Initiative dafür ergriff. Der letzte dramatische Appell zum Dialog wurde persönlich vom Präsidenten Salvador Allende an den Christdemokraten Patricio Aylwin, damaliger Präsident des Senats, addressiert: „Ich rufe Sie persönlich zum Dialog auf, für die höchsten Interessen Chiles“.

Der Aufruf des Präsidenten an den Christdemokraten Patricio Aylwin blieb unbeantwortet. Die Ergebnislosigkeit und das letztliche Scheitern des Dialogs wird verständlich, wenn man endlich die Tatsache ans Licht bringt, dass die Planung und Entscheidung für einen Putsch begannen lange bevor Präsident Allende die Macht übernahm, viel früher als irgendein Punkt seines Programms politisch umgesetzt wurde. Unter vielen anderen Dokumenten bestätigt diese Tatsache der Church-Bericht des US-Senats.

Sowohl der christdemokratische Vorgänger Allendes, Präsident Eduardo Frei Montalva, wie der damalige US-Präsident Richard Nixon hatten eine katastrophale Einschätzung der Regierung Allende, noch bevor diese Regierung ihre Arbeit aufnahm. Mit dieser Vision haben Frei und Nixon das Handeln der Unidad Popular-Regierung von Anfang an sabotiert. Frei erfasste den Scheideweg, der Veränderungsprozeß, in den das Land mit der Wahl Allendes eintrat.

Unbegreiflich bleibt, dass der von der Bonner Prominenz hoch hofierte ehemalige Präsident Eduardo Frei Montalva (1964-1970) und andere intelligente Männer der chilenischen Christdemokratie damit rechneten, das Militär habe den Putsch ausgeführt, um ihnen kurz danach die Macht zu übergeben. Dieser Illusion waren die Christdemokraten vollkommen verfallen. Eine andere Illusion verbreiteten die Anhänger von Pinochet, indem sie sich selbst als Befürworter einer freien Gesellschaft und Verteidiger der Demokratie definierten!

Dennoch oder gerade deshalb erhielt die Pinochet-Militärdiktatur entschiedende Unterstützung von der deutschen Christdemokratie in Bonn, besonders von der CSU, um dieses Märchen zu erzählen. Ein CSU-Professor aus Würzburg, namens Dieter Blumenwitz, (später unbehelligt lange Zeit an der Universität München) engagierte sich sogar persönlich bei der Redaktion der autoritären Verfassung der chilenischen Diktatur, vor allem was die undemokratischen Klauseln, wie unter anderen der Ausschluss von großen Sektoren der chilenischen Gesellschaft, betrifft und die Ernennung von General Augusto Pinochet als Senator auf Lebenszeit.

Mit finanzieller wie persönlicher Hilfe der CDU/CSU und ihren Stiftungen entstand damals die sogenannte autoritäre Verfassung der chilenischen Diktatur, die für die Demokratisierung des Landes ein großes Hindernis darstellt. Dass deutsche Bundestagsparteien Sitze ihrer Stiftungen im Ausland finanzieren, auch in Santiago, die sich im demokratischen Kampf des Landes zu engagieren versuchten, ohne einen wahren Sinn und Begriff für Demokratie zu haben, ist bemerkenswert. Sie agierten in Santiago mit deutschen Steuermitteln, als hätten sie ein Mandat: In Chile mischten sie sich ein und verrieten dabei, wessen Geistes Kind sie wirklich sind. Ihr Einfluss hatte teilweise Erfolg: Pinochets Diktatur-Verfassung blieb bis heute fast vollständig erhalten. Die Bonner Christdemokraten (CDU und CSU) waren interessiert, die mit ihrer Hilfe und Unterstützung geschaffte Verfassung von General Augusto Pinochet unreformierbar zu halten und lediglich den General als Führer zu ersetzen. Das diktatorielle System sollte bleiben, aber natürlich mit einem chilenischen Christdemokraten an der Spitze, Patricio Aylwin. Dennoch ging das CDU-CSU-Kalkül mit der diktatoriellen Verfassung nicht ganz auf, denn die chilenischen Christdemokraten folgten nicht dem Vorschlag ihrer deutschen CDU/CSU-Freunde, allein den Militärdiktator durch einen eigenen Kandidat zu ersetzen.

Diese merkwürdige Haltung zu Demokratie, diese Neigung zu autoritären Systemen, zur Diktatur hat Wurzeln in Deutschland. Aber nicht in Chile, dessen Bevölkerung eine lange Praxis in der Ausübung von Demokratie und Freiheit hat und deren Toleranz und Offenheit die gesellschaftliche pluralistische Auseinandersetzung der Chilenen prägt.

Die einzige deutsche politische Persönlichkeit, die sich im wahren demokratischen Sinn für Chile einsetzte und das Problem der autoritären Verfassung erkannte, war Hildegard Hamm-Brücher. Mit tiefem demokratischen Verständnis sprach sie darüber im Deutschen Bundestag (29.9.1988) und betonte die Notwendigkeit, die Verfassungsreform durchzuführen. Realistisch sah Hildegard Hamm-Brücher voraus, dass Chile wegen der erforderlichen Veränderung der diktatoriellen Verfassung ein langer Weg der Demokratisierung bevorstand.

Die Hauptparteien der Koalitionsregierung von Salvador Allende, die Sozialistische Partei und die Kommunistische Partei, waren keine neuen politischen Formationen, sondern hatten eine lange Praxis gemeinsamen politischen Handelns und eine tiefe Verwurzelung im chilenischen Volk. Eine Straße in Santiago ehrt mit ihrem Namen den Gründer der Kommunistischen Partei Chiles, Emilio Recabarren, über den auch im Gymnasium im Fach Geschichte gesprochen wird, schon Jahrzehnte vor dem Amtsantritt der sozialistischen Koalition von Salvador Allende. Kein liberal-konservativer Politiker Chiles kam auf die seltsame Idee, die Straße Emilio Recabarren umzubenennen, nicht einmal die Militärdiktatur von Augusto Pinochet. Ganz anders in Deutschland. Es ist zudem wichtig, das dauerhafte politische Leben der Kommunistischen und der Sozialistischen Parteien Chiles zu berücksichtigen. Ihre ersten Aktivitäten gehen weit zurück auf 1900, als in den Siedlungen um die Salpeter-Minen das chilenische Proletariat entstand. 1912 formierte sich die Sozialistische Arbeitspartei, die 1921 nach der Dritten Internationale den Namen Kommunistische Partei Chiles annahm. Diese Tatsache ist relevant, da sich die Kommunistische Partei Chiles vor der sowjetischen Revolution gründete und ihr Ursprung grundsätzlich proletarisch war, nicht kleinbürgerlich. Die Sozialistische Partei wurde 1933 gegründet. Kurz: Die chilenischen Linksparteien hatten schon 1970, als sie die Macht demokratisch eroberten, Tradition, Solidität und Legitimität, was die Wahrscheinlichkeit von Erfolg steigerte. Christliche Sektoren schlossen sich während Allendes Zeit der Regierungskoalition an, die sich selbst als sozialistisch bezeichneten.

Vor Weltanschauungen haben Chilenen sich nie gefürchtet. Gerade diese fortgeschrittene politische Kultur Chiles ermöglichte die Verstaatlichung der Kupfer-Minen, eine Initiative des Präsidenten Salvador Allende, die im Parlament von Santiago im Interesse des Landes zusammen mit den Stimmen der Konservativen, Sozialisten und Kommunisten einhellig gebilligt wurde. Wie in vielen anderen Ländern, die die Demokratie dank der Stimmen der Kommunisten wieder erreichen konnten, geschah es auch in Chile: Nach der langen Militärdiktatur (1973-1990) konnte der christdemokratische Präsident Patricio Aylwin die Macht im März 1990 erst mit den Stimmen der breiten Linken einschließlich der Kommunisten gewinnen.

Die Brutalität, die das militärische Regime über Chile brachte, war ohne Präzedenz und dem Land fremd. Gott sei Dank konnte sie trotz allen Unheils die über Jahrzehnte geprägte Offenheit und politische Kultur der Chilenen nicht völlig zerstören. Es war diese Toleranz und politische Bildung, die in Chile den Übergang von einer Militärdiktatur in Richtung einer erneuten Demokratie ohne Blutvergießen trotz aller Schwierigkeiten und trotz aller ideologischen Betonköpfe ermöglichte.

Luz María De Stéfano de Lenkait