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29. Juli 2009 - Stefanie Hänisch:

Raus aus dem afghanischen Sumpf 

Der Blutzoll des NATO-Krieges steigt auf beiden Seiten: nach Angaben des
UN-Generalsekretärs  wurden zwischen Januar und Mai 2009, also vor den im Juni begonnenen Offensiven der USA, Englands und Deutschlands, 800 Afghanen getötet -  im Mai allein durch einen Luftangriff mehr als 140, hauptsächlich Frauen und Kinder. Auf Seiten der NATO sind schon über 1000 Soldaten in Zinksärgen aus Afghanistan abtransportiert worden, davon 35 Soldaten der Bundeswehr. Allein im Juli starben bisher 69 Soldaten (28.7.2009).

Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen - alles andere ist eine Illusion - eine
- unaufhaltsame - Illusion der Politiker und hohen Militärs, wie Rory Stewart,
ein ehemaliger britischer Offizier und Provinzverwalter im Irak, in einem
längeren Aufsatz überzeugend darlegt.

Bei der Trauerfeier für die drei gefallenen Bundeswehrsoldaten behauptete
Verteidigungsminister Jung, die Kameraden seien für "den Frieden" gefallen.
Tatsächlich hat die NATO und damit auch die Bundeswehr den Krieg nach
Afghanistan und Pakistan gebracht - schon seit acht Jahren, das ist länger
als der 2. Weltkrieg. Seit 2003 steht die ISAF unter der militärischen Führung der NATO. Sie hat zum Schutz der vom Westen eingesetzten Karsai-Regierung das Einsatzgebiet  über Kabul hinaus ausgeweitet -
inzwischen bis nach Pakistan. AFPAK heißt das Kriegsgebiet jetzt -
Afghanistan-Pakistan.

Mit der Entsendung von weiteren 17.000 US-Truppen sind jetzt knapp 70 000 Soldaten aus NATO-Ländern in Afghanistan im Kriegseinsatz. Bei den im Juli begonnen Angriffsoperationen (Offensiven) setzt die NATO jetzt nicht mehr allein auf Bomben vom Himmel, sondern auch auf "die Stiefel am Boden"  Was das bedeuten wird,  zeigt der Abschluss der Offensive "Pantherklaue" der Briten in einem Gebiet der Provinz Helmand,  das etwa so groß ist wie die Insel Rügen und 80 000 Einwohner hat: 3000 Soldaten wurden eingesetzt, um 500 Taliban zu vertreiben. Die Kosten bei den Briten: 12 tote Soldaten, hunderte Verletzte. Um diesen Geländegewinn zu halten, sind die 9000 britischen Truppen jetzt gebunden (NZZ, 29.7.2009)

Auch die Bundeswehr lernt die Offensive. Dafür hat sie die Einsatzregeln für die Soldaten geändert. Gestrichen wurde der Satz "Die Anwendung tödlicher Gewalt ist verboten, solange nicht ein Angriff stattfindet oder unmittelbar bevorsteht." Lernend - mithelfend dürfen endlich auch deutsche Soldaten das Töten lernen, in dem jetzt durch die Bundeswehr mit Panzern und Mörsern geführten Bodenkrieg.  Die Bundeswehrsoldaten in den NATO-Awacs-Flugzeugen aus Geilenkirchen liefern präzise Bilder für die Kriegsführung. Aufgabe dieses Bodenkriegs ist es den nördlichen Nachschubweg für die NATO freizukämpfen und zu sichern, nachdem der Weg aus Pakistan über den Kyberpass wegen der Aufstände in den Grenzprovinzen Pakistans nicht mehr genutzt werden kann. Russland erlaubt jetzt den Transport durch sein Gebiet.
 
Die neuen Offensiven sind nur weitere Schritte in den Sumpf. Der neue
US-Botschafter bei der NATO hat schon gefordert, dass "Europa und
Deutschland mehr tun sollen".  Die Rot/Schwarze Koalition mach mit - mit der AWACs-Entscheidung, dem Bodenkrieg, der Veränderung des Kampfauftrages, der Ankündigung, dass die 600 vor kurzem entsendeten Soldaten auch nach den afghanischen Wahlen bleiben sollen, der Ankündigung, dass der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan noch zehn Jahre dauern kann, mit Tapferkeitsmedaillen und der Planung eines Ehrenmals. Spätestens nach den Bundestagswahlen wird die neue Regierung PR für eine Aufstockung der Truppen und für die Erhöhung des finanzieller Beitrags machen. 

Aber es ist nicht einfach, die Reklametrommel  für den Krieg in Afghanistan zu rühren. 69 % der deutschen Bevölkerung sind für einen schnellen Abzug; in England sind es jetzt 58 %; die Kanadier haben aufgrund des Widerstands im eigenen Land schon den Abzug ihrer 2500 Mann beschlossen. Selbst in den Medien kommen Stimmen zu Wort, die Afghanistan mit der Entwicklung im Vietnam-Krieg vergleichen. Es entsteht allmählich eine  internationale Bewegung gegen diesen Krieg. Auch  dieser Krieg ist kein "guter" Krieg.  

Die von den Politikern angeführten Gründe sind völlig abstrakt und bei
einigermaßen klarem Kopf nicht zu verstehen. "Ohne Wiederaufbau in
Afghanistan sind die Aufständischen nicht zu besiegen. Um Wiederaufbau zu
machen, müssen erst die Aufständischen besiegt werden."  Kapiert?

Eine Lesart wäre, unter Wiederaufbau sind nicht Häuser, Schulen,
Wasserversorgung, Kraftwerke, Bewässerungssysteme, Krankenhäuser und andere Basisversorgungen der Bevölkerung gemeint, sondern den Aufbau einer massiven Kontroll- und Unterdrückungsinstitution - Armee und Polizei.
US-Generäle befürworten offen einen  450 000 Soldaten starken afghanischen Armee-Polizei-Sicherheitsapparat, dessen Unterhalt jedes Jahr zwei bis drei Milliarden Euro kosten würde. Das sind 500 % des gegenwärtigen afghanischen Staatshaushalts! Anders gesagt, die NATO-Staaten sollen  sich eine Armee/Polizei aus Afghanen leisten

Ein weiteres "Argument", das immer wieder vorgebracht wird, ist : "Wir müssen dort bleiben, weil es sonst die Lage noch schlimmer wird". Dabei zeigt sich heute, nach einem weiteren Jahr Krieg gegen Afghanistan, mit noch mehr Toten und noch weniger Wiederaufbau, noch viel klarer:  NATO und Bundeswehr lösen nicht das "Sicherheitsproblem", sondern sind wesentlicher Teil der Probleme in Afghanistan. Mit Soldaten und Bomben konnten die Herzen der Masse der afghanischen Bevölkerung noch  nie für den "Fortschritt" gewonnen werden. Das gelang weder der kommunistischen Regierung, die schließlich, als ihrer Revolution von oben scheiterte, wahllos Luftangriffe auf Dörfer flogen. Das gelang der Sowjetunion in sieben Jahren Krieg nicht, und das wird auch den Truppen des Westens nicht gelingen. Wir sind überzeugt, dass nur die afghanische Bevölkerung selbst eine politische Lösung für die Probleme ihres Landes finden kann. Erst dann kann Deutschland unseren afghanischen Brüdern und Schwestern helfen.

weitere Informationen:

[ Aufsatz von Rory Stewart (Englisch) ]