Menü

23. April 2010 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

In der zurückliegenden Woche kam die Meldung, die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Oberts Klein seien eingestellt worden. Zu diesen Ermittlungen kam es wegen eines von ihm befohlenen Massakers am Kundus (4.9.2009), das international grosse Empörung und böse Erinnerungen hervorrief. Hierzu eine Stellungnahme, wie immer zur Anregung, Verwendung und Weiterverbreitung:

Meldung zur Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen gegen Oberst Georg Klein wegen Massaker am Kundus (4.9.2009)

Deutschland als Rechtsstaat in Frage gestellt

Zum Demokratieverständnis gehört, Rechenschaft abzulegen und die elementarsten Fragen der Politik zu erläutern, unter ihnen der verfassungsrechtswidrige Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Die Bundesregierung darf sich davor nicht weiter drücken. Die Öffentlichkeit auch nicht. Die Bomben-Aktion von Kundus am 4.9.2009 war nicht nur ein furchtbarer Fehler, sondern ein gravierendes Verbrechen, ein mehrfacher Mord, der nicht straflos bleiben darf.

Ein Außenminister, ein Verteidigungsminister und jeder Partei-Chef müssen endlich von Krieg und Invasion in ein fremdes Land, in eine Krisen-Region klar und deutlich Abstand nehmen. Die Bundeswehr führt einen ehrlosen Krieg. Als Besatzungsmacht ist sie in Afghanistan einmarschiert und trifft dort zwangsläufig auf bewaffneten Widerstand. Ihre Aufstandsbekämpfung wird immer brutaler, wie es beim Massaker am Kundus (4.9.2009) zutage trat, wo auf Befehl eines deutschen Oberst fast 150 Menschen umgebracht wurden. Deutsche Politiker verfallen in blanken Zynismus und gravierende demagogische Konfusion, wenn sie für den Frieden mit dem Instrument des Krieges plädieren. Verantwortung gilt in erster Linie für die eigene Bevölkerung, allerdings auch für die wehrlose Bevölkerung einer der ärmsten Regionen der Welt. Heißt verantwortungsvolles Tun Bomben und Raketen auf Menschen zu werfen?

Die Frage, die zur Verantwortlichkeit Deutschlands überhaupt nicht gestellt wird, ist: Kann eigentlich militärische Gewalt dazu beitragen, Konflikte zu lösen, sie unter Kontrolle zu bringen, vor allem in Krisen-Regionen wie Afghanistan und Pakistan? Aber diese Frage wollen sich die Kriegsherren im Bundestag nicht stellen.

Lebensrecht und Sicherheitsgefühl der Afghanen werden von der Bundeswehr Tag für Tag verneint. Stirbt aber ein deutscher Soldat, bekommt er einen Heldenplatz am Ehrenmal. Diese Perversion ist ein abstoßendes Déjà-vu! Ein militärischer Einmarsch ohne Not in ein anderes Land ist weit davon entfernt, als ruhmreich gelten zu können. Ungebildete, unaufgeklärte deutsche Soldaten sind dort einmarschiert, erbärmlich betrogene Kriegsjugendliche des vereinten Deutschland, zumeist die Unterschichten, die in die Bundeswehr gehen, weil sie nirgends Arbeit finden. Sie verdienen echte Aufklärung seitens der Öffentlichkeit, weil sie verfassungswidrigen Umständen ausgeliefert wurden und immer noch werden.

Der Bundeswehr gehörten rund eintausend ehemalige Wehrmachtssoldaten an, gegen die wegen Verbrechen im Dritten Reich in der alten BRD staatsanwaltschaftlich ermittelt wurde. Nicht ein einziger wurde verurteilt. Und jetzt? Was macht die heutige deutsche Staatsanwaltschaft gegenüber den Verantwortlichen des Massakers am Kundus in Afghanistan? Die deutsche Öffentlichkeit leidet an fehlender Formation und Menschenrechtsbildung, was sie gegenüber Regierenden, die im Unrecht agieren, hörig macht. Deshalb gibt es keine angemessene öffentliche Kritik gegen die jüngsten Aggressionen, Angriffskriege und Massaker gegen Belgrad, gegen den Irak und gegen Afghanistan.

Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Oberst Georg Klein wurden eingestellt. Das allerdings stellt die Glaubwürdigkeit des vereinten Deutschlands als Rechtsstaat in Frage. In jedem Rechtsstaat muss eine Straftat bestraft und die persönliche Verantwortung der Täter herangezogen werden. Nach den Nürnberger Prozessen ist die persönliche Verantwortung individuell zu verfolgen. Warum hält sich Deutschland nicht daran? Die deutsche Bundesregierung ist schnell dabei, mit anklägerischem Finger auf andere Länder und dortige Täter zu zeigen, aber wenn es um das eigene Handeln geht, nämlich um Mord, Massaker oder mit dem Sprachbild von Oberst Georg Klein um „Vernichtung“ von Menschenleben, entzieht sie sich skrupellos dem Recht und Gesetz und glaubt so, alle rechtlichen Barrieren abschaffen zu können, um den gewollten Krieg noch mörderischer zu machen.

Zu Recht wollen die Anwälte der Angehörigen der afghanischen Opfer und das  European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin gegen die vorschnelle Einstellung der staatsanwaltlichen Untersuchungen gegen Oberst Klein vorgehen. Völker- und strafrechtlich gibt es noch viel zu klären. Und zwar substantielles.

Mord, absichtliche Tötung ist ein Straftatbestand in jedem Strafgesetzbuch, auch im Völkerstrafrecht. Die Bundesanwaltschaft von Karlsruhe stand von Anfang an unter enormen Druck der Bundesregierung, um es auf keinen Fall zu einem Prozess gegen Oberst Klein kommen lassen. Vor allem hätte sich die Justizministerin für die Anwendung des Strafgesetzbuches klar und deutlich einsetzen müssen. Eine Einstellung der staatsanwaltlichen Untersuchungen, wie jetzt geschehen, ist inakzeptabel und durch die Erklärung der Bundesanwaltschaft gar nicht begründet, die Anordnung des Bombenabwurfs erfülle nicht den Tatbestand „verbotener Methoden der Kriegsführung“. Das internationale Strafrecht verfällt nicht in subtile Differenzierungen, weil diese zum Format jedes Richters gehören, der nach geltendem Rechtswissenschaftskenntnisstand ausgebildet ist. Zum Beurteilungsvermögen eines jeden Richters gehört deshalb, einen Straftatbestand zu beurteilen und zwar nach dem Vorsatz, der Fahrlässigkeit und nach anderen Umständen eines Verbrechens, die jeder Richter aufgerufen ist, gründlich aufzuklären.

Nach der Niederlage der letzten europäischen Macht, die sich das Recht nahm, andere Nationen auf dem Kontinent anzugreifen und ihre Grenzen neu zu ziehen, wurde das Nürnberger Tribunal einberufen. Das Nürnberger Tribunal definierte Verbrechen gegen den Frieden als die schlimmste Verletzung des Völkerrechts. Im Statut für den Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg, wird der Mord als Straftatbestand an erster Stelle genannt (Art.6). Im Auftrag der Vollversammlung der Vereinten Nationen bereitete die Kommission des Internationalen Rechts Entwürfe für ein Volksstrafgesetzbuch über Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit vor. Die UN-Kommission für Internationales Recht billigte 1996 den Entwurf der Vereinten Nationen als Strafgesetzbuch der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit. Um strafbar zu sein, müssen sie systematisch begangen werden oder in großem Maß von einer Regierung oder einer politischen Organisation instigiert oder dirigiert worden sein. Das Statut von Rom, das den Internationalen Strafgerichtshof 1998 etablierte, sieht die Kriegsverbrechen als strafbar, die Teil eines politischen Plans sind oder die, die in großer Skala begangen werden (Art. 8 ). Absichtlich zu töten gehört dazu. Alle diese Fortschritte der internationalen Strafbarkeit im 21. Jahrhundert sind Folgen der vier Genfer Konventionen von 1949, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Krieg oder in jedem bewaffneten Konflikt verurteilen. Damit sind die Genfer Konventionen so wichtig wie nie zuvor geworden.

Kein Staat der internationalen zivilisierten Gemeinschaft darf sich dem Recht und Gesetz entziehen. Ein kurzer Blick auf die Tatsachen: Ein deutscher Oberst befiehlt einen Bombenangriff, bei dem fast 150 Zivilisten starben. Die Verwerflichkeit seiner Handlung ist in vieler Hinsicht erkennbar. Er hat die Warnungen der Amerikaner, dass Zivilisten zu Schaden kommen könnten, kaltblütig missachtet. Er hat Vorschläge der Amerikaner, die Menschen zu warnen, glatt abgelehnt. Danach hat er die Aufklärung massiv behindert. Trotz dieser gravierenden Handlungen wird er von jeder strafrechtlichen Verantwortung entlastet. Das ist ein deutscher Justizskandal, der der Straflosigkeit der Nachkriegszeit ähnelt, als sich die Nazis wegen Untätigkeit der alten BRD-Justiz ihrer Verantwortung auch entzogen haben. Diese Straflosigkeit der damaligen BRD-Justiz wie der Justiz im vereinten Deutschland stellt die aktuelle Frage nach der universellen absoluten Jurisdiktion, um die Verantwortlichen für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord an erster Stelle, zur Rechenschaft zu ziehen.

Spanien ist ein europäischer Staat, der entschlossen extraterritorialen Aktionen gegen Straftäter ausgeübt hat. Belgien erkannte durch Gesetz 1993 die universelle Jurisdiktion. Das entsprechende belgische Gesetz wurde im Jahr 1999 modifiziert und ausgeweitet. Damit ist eine universelle Jurisdiktion anerkannt, um Kriegsverbrechen, die in anderem Staat begangen wurden, aufzuklären und die Kriegsverbrecher strafrechtsmäßig zu verurteilen. Straflosigkeit darf es zum Wohl der Gerechtigkeit und des Rechts nicht geben.

Die Soldaten benötigen keinen rechtswidrigen Rückhalt der Gesellschaft. Glücklicherweise ist in der breiten deutschen Gesellschaft der klare Sinn für Recht und Gerechtigkeit viel verbreiteter und lebendiger als bei den wenigen Machthabern. Fast 80% der deutschen Bevölkerung lehnt den Einmarsch der Bundeswehr in Afghanistan ab. Vielmehr als eine falsche Rückendeckung benötigen die Soldaten den Rechtsstaat in funktionierender Wirksamkeit. Eine rechtsstaatliche, funktionierende Justiz hätte längst den Einmarsch, den Krieg als verfassungswidrig erklärt und damit das Kriegsverweigerungsrecht der Soldaten betonen müssen als einzigen vernünftigen Ausweg aus einer falschen verbrecherischen Politik. Vor allem hätte sich die Bundesstaatsanwaltschaft nicht davor drücken dürfen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, also Mord an Zivilisten aufzuklären und anzuklagen.

Die Konsequenzen einer nicht funktionierenden und politisch abhängigen Justiz, die sich der Regierungs- Parteipolitik unterordnet, sind verheerend: Der Soldatentod wird politisch instrumentalisiert, um den Krieg noch mörderischer weiter zu führen mit weiteren vorsätzlichen und fahrlässigen Tötungen. Der Rechtsstaatlichkeit Deutschlands bleibt damit auf der Strecke und die Glaubwürdigkeit, was das Eintreten Deutschlands für die Menschenrechte betrifft.

Luz María De Stéfano de Lenkait