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Christian Felber: Wir oder Gier?

 

Gerammelt voll war das Multimax in der Karl-Kübel-Schule beim Vortrag von Christian Felber über den
Weg zu einem menschlichen Wirtschaftssystem. (BILD: Neu)

„Wir oder Gier?“ Ein anderes Wirtschaftsmodell für die Welt
Von unserem Mitarbeiter Thomas Tritsch

Der Mann hat eine Vision: Nicht Geld und individuelle Bereicherung sind der Gradmesser für unternehmerischen Erfolg, sondern ein gutes Leben für alle. Christian Felber hat ein vollkommen
anderes Wirtschaftsvokabular. Ihm geht es um das Wachstum von Glück, einen Profit an Zufrieden- heit und um eine gesellschaftliche Rendite. Der 45-jährige Österreicher hat nicht weniger vor, als der Welt ein neues Wirtschaftsmodell zu geben: die Gemeinwohl-Ökonomie.
Seit acht Jahren ist der Autor und politische Aktivist als globaler Missionar unterwegs, um das gängige System „vom Kopf auf die Beine zu stellen“, wie er sagt. Um das anschaulich zu demonstrie- ren, macht er in Bensheim mal eben einen Kopfstand auf der Bühne.
In der Ökonomie, so der Politikwissenschaftler und Gründer von Attac Österreich, sollte das Geld nur das Mittel sein, um das Wohl aller Lebewesen zu steigern. Stattdessen werde die Gewinnmaximie rung zum Selbstzweck erhoben, kritisierte Felber jetzt im Multimax der Karl-Kübel-Schule.
Der riesige Saal war gerammelt voll. Das Thema bewegt die Massen. „Wir oder Gier?“ titelte der Vortrag eines Vordenkers, der bei seinem Kurs bereits von 2200 Unternehmen unterstützt wird, wie er selbst sagt.
Auch Kommunen und Bildungseinrichtungen habe er bereits auf seiner Seite. Mittlerweile ist die
Bewegung, die alle Ebenen einbeziehen will, in über 30 Staaten aktiv. Das Modell versteht sich als
ganzheitlicher Ansatz.
„Die Sehnsucht nach Alternativen ist stark, und sie wächst weiter“, so der Revolutionär, der überhaupt nicht wie einer wirken will. Da steht kein verbissener Weltverbesserer und auch kein aufgedrehter Klassenkämpfer. Nicht Felbers Habitus ist revolutionär, sondern die Inhalte, von denen er ganz sachlich und besonnen spricht.
Der asoziale Egoist gewinnt
Seine Analyse: Unser Wirtschaftsprinzip widerspricht dem Grundgesetz. In praktisch jeder Verfassung der Erde steht der Gemeinwohlanspruch über allem. Das ist eine Tatsache. Doch in der Realität sehe es anders aus: Der Unethische habe einen Wettbewerbsvorteil. Wer die demokrati- schen Grundwerte missachtet, kommt am Ende besser weg. Dies führe dazu, dass der asoziale Egoist gewinnt – auf Kosten der Allgemeinheit. (...) „Würde es sich um einige versprengte Wachstums-Freaks handeln oder ein paar wild gewordene Umsatz-Maximierer, wäre das nicht weiter schlimm“, sagt er in Bensheim. Doch bei dem Problem handele es sich um den Kern unseres aktuellen Wirtschaftssystems. Das Pervertierte habe sich leise, aber erfolgreich zum Standard entwickelt. Eine falsche, unintelligente Wirtschaftsordnung, in der sich Mensch mehr oder weniger gedankenlos mitreißen lässt.
Felber hat prominente Unterstützer. Bereits Aristoteles hatte festgestellt, dass Kapital nur als Mittel und nicht als Ziel des Wirtschaftens sinnvoll sei. Zweck sei das gute Leben für alle. Der Philosoph hatte zwischen Ökonomik (Hausverwaltungskunst) und Chrematistik (Kunst des Gelderwerbs) unterschieden. Die Vermehrung des Reichtums als primäres Ziel sei widernatürlich und unethisch im Sinne des Gemeinwohls.
„Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“, heißt es auch in der bayerischen
Verfassung. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, steht im Grundgesetz. Das Prinzip sei überall klar und richtig definiert, so Felber. „Doch wir bemessen den Erfolg nicht am Ziel, sondern an seinen Mitteln.“ Die Qualität des Essens hänge nicht von der Größe der Küche ab. Die Anhäufung von Mitteln als zentrale Methode sei ein Fehler im System. Gegen Geldverdienen hat er nichts. Aber er will, dass die ökonomischen Spielregeln das Gute belohnen und das Schlechte oder Böse sanktionieren. Etwa durch höhere Steuern, mehr Zölle und weniger attraktive Kredite für Unternehmen mit dünner Gemeinwohl-Bilanz. Und umgekehrt.
Zwischendurch knöpft sich Felber in Bensheim das Mantra vom Nutzen des Freihandels vor, warnt vor
der Machtkonzentration der großen Weltkonzerne und empfiehlt eine demokratisch definierte Ober- grenze des Einkommens, die einen bestimmten Faktor eines bestimmten Grundeinkommens nicht überschreiten dürfe.
Kritiker werfen ihm vor, sich ein utopisches Weltbild auf der Grundlage ideologischer Fantasien
zurechtzubiegen. In Bensheim überwog positive Resonanz. Wie auch immer: Seine konstruktive Kritik
am Ist-Zustand und seine Vorschläge für eine andere Zukunft sind auf jeden Fall eine spannende
Ideensammlung, über der es sich zu brüten lohnt.
Gastgeber der Veranstaltung „Wir oder Gier?“ mit Attac-Aktivist Christian Ferber waren:
Attac Bergstraße,
das Nord-Süd-Forum Bensheim,
die Karl-Kübel-Stiftung für Kind und Familie,
der BUND -Kreisverband,
der DGB Bergstraße,
die Grüne Liste Bensheim und
der Förderverein der Karl-Kübel-Schule.
tr
Ein „Bruttonationalglück“ als Indikator wirtschaftlichen Erfolgs
Christian Felbers Vorschlag für ein alternatives Wirtschaftsmodell: Anstelle eines Bruttoinlandspro- duktes solle ein Gemeinwohl-Produkt auf volkswirtschaftlicher Ebene eingeführt werden, inklusive einer Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen und einer Gemeinwohl-Prüfung für Investitionen.
Unternehmen, so der Attac-Aktivist aus Österreich, sollten danach bemessen werden, inwieweit sie die gesellschaftlichen Grundwerte erfüllen: Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Mitbestimmung.
Das volkswirtschaftliche Gemeinwohl-Produkt könnte sich beispielsweise aus den 20 relevantesten
Aspekten von Lebensqualität zusammensetzen, die von den Bürgern als staatlichem Souverän in
dezentralen, ur-demokratischen Beteiligungsprozessen (er spricht von Konventen) ermittelt werden.
Felber will eine Art „Bruttonationalglück“ als Indikator wirtschaftlichen Erfolgs. „In Buthan gibt es das
schon.“ Der Rest der Welt soll folgen. Christian Felber arbeitet daran.
Schon mehr als 500 Unternehmen aus Deutschland, Österreich, Italien, der Schweiz, Spanien sowie in Nord- und Südamerika hätten ihre erste Gemeinwohl-Bilanz erstellt, berichtet er. Darunter seien
Banken, Biobauern und Hochschulen – mit positiven Erfahrungen bei Kunden, Mitarbeitern und
Förderern.
Gute Arbeitsbedingungen, ökologische Nachhaltigkeit und ordentliche Löhne führen nach diesem
Konzept zu einer guten Unternehmensbilanz mit vielen „Gemeinwohl-Punkten“. Kinderarbeit,
Steuerschlupflöcher und eine Verletzung der Menschenrechte befördern es ins moralische Minus, in die ethische Insolvenz. Die Freiheit des Kunden bezüglich seiner Kaufentscheidung bleibe erhalten, doch die Transparenz werde gesteigert. Eine „Ethik-Ampel“ auf Produkten mache auf einen Blick deutlich, wie anständig ein Unternehmen am Markt agiere. Felber hofft auf die Macht der Menschen, der letztlich stets das Lebensglück dem reinen Reichtum vorziehe.
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Gedruckt am: 02.03.2018 05:59:09 | Ausgabe Bensheim, 02.03.2018 | Seite: 3/3 | BA-Digital