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20. Oktober 2011 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Die Reden vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen im vergangenen September und Überlegungen zur internationalen Politik geben Anlass zu einer ausführlichen Betrachtung, die in vier Teilen erfolgt. Teil 4:

Reden vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, New York, September 2011

Die Vereinten Nationen und Regionalorganisationen

„Responsability to protect“ kein Bestandteil des normativen Völkerrechts
Gerade die NATO-Staaten im Sicherheitsrat (USA, Großbritannien und  Frankreich) versuchen ihren Interventionismus auf Kosten der UN zu zementieren. Dazu haben sie das Konzept der „Responsability to protect“  (R2P) konstruiert, das die Intervention, und zwar die militärische Intervention vorsieht, wenn nach ihrem Ansicht ein Staat „nicht in der Lage oder nicht willens ist“ seine Bevölkerung vor massiven Menschenrechtsverletzungen bis hin zu völkermordähnlichen Verfolgungen zu schützen.

Die R2P ist zwar von der UN-Generalversammlung 2005 diskutiert worden, aber sie ist von keinem Gremium der UN formal beschlossen. Somit ist die sogenannte Schutzverantwortung kein Bestandteil des normativen Völkerrechts. Dennoch berief sich der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 1973 zu Libyen (17.3.2011) genau auf diese interventionistische Konstruktion, um über Libyen  eine „Flugverbotszone“ zu verhängen, was einem Angriffskrieg gleicht, wie der damalige US-Verteidigungsminister Robert Gates dagegen kritisch bei der entsprechenden NATO-Sitzung ausdrücklich mahnte. Mit mehr als 20.000 Bomben-Luftangriffe und Drohnen mehr als fünf Monate lang haben die NATO-Länder keineswegs die Zivilbevölkerung Libyens geschützt, sondern im Gegenteil, massakriert. Darüber hinaus haben sie sich zur Luftwaffe einer der Bürgerkriegsparteien im Lande gemacht, genauso wie Nazi-Deutschland und das faschistische Italien einmal an der Seite von General Franco gegen die spanische Republik. Dazu schweigt der UN-Sicherheitsrat.

Europäische Medien und NATO-Propaganda
Es ist aufschlussreich festzustellen, dass genauso wie in Libyen auch in Syrien keine internationale Kommission zur Klärung der Fakten gebildet wurde, auch nicht von der UNO. Alle Anschuldigungen basieren vor allem auf Medienberichten. Heute ist es offenkundig, dass europäische Medien unter US-Diktat und -Kontrolle funktionieren. Sie sind praktisch vollständig in der NATO-Propaganda eingebettet. Die letzten fünf Monate haben gezeigt, dass
man den Mainstream-Medien besser keinen Glauben schenken soll: Wie oft war Gaddafi schon geflohen, seine Söhne getötet oder verhaftet worden? Dann tauchte Gaddafis Sohn Saif Al-Islam überraschend in Tripolis auf und gab dort ein Fernsehen-Interview. Eine Blamage sondergleichen für die NATO-Medien. Sieht man die trostlose Spur der Verwüstung, die die NATO hinter sich zieht, wenn sie „neue“ Verhältnisse schafft – Irak, Jugoslawien,
Afghanistan, Libyen – so kann man der libyschen Bevölkerung und der libyschen Regierung nur wünschen, dass sie die NATO daran hindern können, „ein neues Libyen zu schaffen“.

Zwei große Initiativen müssen dringend auf internationale Ebene stattfinden:

1. Eine Rückbesinnung auf die Grundverpflichtung, welche die UNO-Charta vorschreibt und
2. Die Gültigkeit der UN-Charta ist zu bestätigen und alle Entgleisungen oder illegalen Konstruktionen dagegen sind bloßzustellen und definitiv abzulehnen.

In diesem Zusammenhang ist die Reaktion des russischen Präsident Dmitri Medwedjev von großer Bedeutung: Die Aufgabe der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates bestünde nicht darin, dem Westen zu ermöglichen, „mit pseudojuristischen Tricks die eigenen Ziele mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Dafür sei „die UNO nicht etabliert worden.“ Der Präsident Russlands präsentierte dagegen ein russisch-chinesisches Konzept zur Konfliktregelung in Syrien, das auf Dialog und Ausgleich ausgerichtet ist. Zugleich soll eine militärische Einmischung von außen für unzulässig erklärt werden, um so eine Wiederholung der von westlichen Vertretern bereits als Modell gepriesenen NATO-Intervention in Libyen in Zukunft zu verhindern. Der russisch-chinesische Vorschlag war längst fällig und ist zu begrüßen, damit die USA endlich gebremst werden, wenn sie sich wieder anschicken, das internationale Recht erneut zu sprengen.

Artikel 109 der UN-Charta sieht eine allgemeine Konferenz zum Thema Reformen des UN-Charta-Rechts. Eine solche Konferenz hat es bisher nicht gegeben!
Aber von einer  breiten Reform der UN-Charta ist nur zu sprechen, wenn sie die weitere Kodifizierung des internationalen Rechts beinhaltet, wobei der Krieg als Verbrechen zu ahnden ist genauso wie jede Anwendung militärischer Mittel, um Konflikte zu lösen. Die enorme Unverhältnismäßigkeit der militärischen Mitteln ist ausdrücklich zu erkennen und die Grundlagen der UN-Charta sind zu bekräftigen.

Mitwirken an Gesamtstrategie für globale Entwicklung und Zusammenarbeit
Multilateralismus als Ziel setzt voraus, dass alle Regionen der Welt bereit  sind, an einer Gesamtstrategie für globale Entwicklung und Zusammenarbeit mitzuwirken. Dies wird ein schwieriger, langwieriger, aber erfolgreicher Prozess werden.

Der Aufstieg von großen Ländern wie China, Indien, Brasilien, Iran und Südafrika bieten eine neue historische Gelegenheit für die Stärkung des Multilateralismus. Im Interesse der internationalen Sicherheit und der friedlichen Entwicklung müssen die bisher führenden Weltregionen Europa und Nordamerika diese Gelegenheit wahrnehmen.

Man darf sich nicht wundern, dass sich bei den Vereinten Nationen in New York die Fronten Frieden versus Krieg verhärtet haben. Es ist die Stunde der kleinen Länder, die reif, souverän, und unabhängig sind, um sich in die Falle der Gewalt und des Krieges nicht hinein locken  zu lassen. Selbstbewusst und mit Realitätssinn kennen sie ihre Verantwortung für die Bewahrung des Friedens. Verantwortungsvoll mit klarem Verstand erkennen sie, bei welcher Regierung der Wille zum Krieg besteht. Deswegen bleiben sie allen Finten und Tricks der letzten Minute fern, womit die kriegerische Seite skrupellos arbeitet.

Thomas Dehler: „Wenn man darauf verzichtet, politisch zu wirken...“
Die zu lange regierende CDU hat sich als unfähig erwiesen, das gravierende Problem einer aggressiven außenpolitischen Haltung einer Supermacht zu begreifen, eine Haltung, die mit allen Maßstäben des Völkerrechts bricht und dem gesunden Menschenverstand zuwiderläuft. Dass sie sich von einer solchen Macht faszinieren lässt, ist nicht neu. Ein provinzieller Konrad Adenauer unterlag derselben Faszination, so sehr, dass er die Teilung seines eigenen
Landes an diese Supermacht opferte. Ohne Echo und ohne Verständnis blieb damals der dramatische Appell von Thomas Dehler im Bundestag (1958). Dramatisch und aktuell gelten noch heute seine prophetischen Worte anlässlich der Deutschlandpolitik Adenauers. Unter beschimpfenden Zurufen von CDU/CSU-Leuten erklärte der große Vertreter des deutschen Liberalismus Thomas Dehler im Deutschen Bundestag 1958:

„Der gegenwärtige Abschnitt der Nachkriegsgeschichte und der Geschichte der Bundesrepublik wie der Geschichte der weltpolitischen Entwicklung ist entscheidend. Der bisherige Weg hat dazu geführt, dass die Lage immer ernster geworden ist. Er führt zur Verhärtung der Weltlage, zum Wettlauf der Rüstungen mit ihren unabsehbaren Folgen auf allen Gebieten, nicht nur militärischen, sondern auch politischen und wirtschaftlichen, mit der Folge, dass Deutschland auf Generationen hin zerrissen ist. Der letzte in unserem Volk weiß, dass man hier zwar von deutscher Einheit und von Wiedervereinigung spricht, aber sie nicht ernstlich erstrebt. Darum geht es doch. Die Politik des Kalten Krieges ist in Wirklichkeit keine Politik, ist Verzicht auf Politik, ist Verzicht darauf im Wege der Politik – d.h. doch des Verhandelns, des Einwirkens auf allen möglichen Wegen der Rede – den politischen Willen des anderen zu beeinflussen. Der Kalte Krieg, der begonnen worden ist, ist der Verzicht auf diese Politik gewesen, und was wir heute hören, heißt doch in Wirklichkeit:  Man will trotz allem diesen Weg weitergehen. Man treibt die gleiche Politik wie bisher. Natürlich ist es die
„Politik der Stärke“. Was ist denn sonst? Vielmehr: Es ist das Verhalten der Stärke. Es ist das Verhalten der Stärke, wenn man darauf verzichtet, politisch zu wirken. Das ist der Witz der ganzen Geschichte.“

Mehr als ein halbes Jahrhundert danach hat sich an solcher CDU-Blindheit und Torheit nichts geändert. Dieselbe Torheit und Blindheit ist aber auch bei der SPD bis heute gegenüber der Supermacht zu erkennen. Gefangen im Kalten Krieg blieb ein Willy Brandt, unfähig, den deutschen Kurs unabhängig und souverän zu steuern. Mit ihm ging die SPD weiter den irrsinnigen Weg eines nutzlosen vergeudeten Kalten Krieges mit der NATO-Last, die sie immer noch tragen will. Eine existentielle Angelegenheit von Krieg und Frieden bleibt auf der Tagesordnung in einem Bundestag, wo die politische Kultur durch die andauernde Macht der Ewig-Gestrigen rückständig bleibt.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait

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