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9. März 2013 - Luz Maria de Stefano de Lenkait:

Venezuela trauert um seinen Präsidenten, Kondolenzschreiben der meisten Staatsoberhäupter der Welt gehen dort ein, nur einige wenige Länder, darunter Deutschland, zeigen sich dazu nicht imstande, Anlass zu folgender Stellungnahme zum

Leitartikel in Süddeutsche Zeitung (SZ) vom 7.3.2013
"Das Ende der Caudillo" von Sebastian Schoepp

und SZ-Artikel
"Ein Verführer vor dem Herrn" von Peter Burghardt

Stunden der Trauer - Die Massen lassen sich nicht täuschen

Nach dem unaufgeklärten Tod des Präsidenten Chiles Salvador Allende im Verlauf des militärischen Überfalls auf den präsidentiellen Palast La Moneda am 11.9.1973 ist Venezuelas Präsident Hugo Chávez Frías Abgang am 5.3.2013 der schwerste Verlust Lateinamerikas.

Es wird überdeutlich, wie fundamental Hugo Chávez für das Zusammenrücken Lateinamerikas im 21. Jahrhundert gewesen ist. "Für die gleichzeitige Loslösung vom Imperialismus der USA und für die Verankerung sozialistischen Denkens und Wirkens nicht nur in Venezuela." Wolf Gauers Würdigung ist zutreffend in seinem Aufsatz zum Präsidenten Venezuelas: "Hugo Chávez Frías ist tot".

Die realitätsfremde Achse USA/EU fürchtet das Vermächtnis des humanistischen fortschrittlichen venezolanischen Präsidenten und versucht deshalb nicht nur seinen hervorragenden weltweiten Ruf zu zerstören, sondern die Entwicklung Lateinamerikas tendenziös zu präjudizieren. Umsonst. Die großen Mehrheiten des venezolanischen Volks zusammen mit den großen Mehrheiten Lateinamerikas haben während der Administration von Präsidenten Hugo Chávez seit 1999 an Selbstbewusstsein gewonnen und wissen, wo ihre Gegner, wo die Feinde sind.

Eine Kehrtwende kommt nicht in Frage, weder für Venezuela noch für irgendein anderes lateinamerikanisches Land. Die eigenständige Entwicklung Lateinamerikas ist die noch nicht erfüllte Aufgabe der bolivarischen Integration und Einheit, aber die Wege dahin sind schon markiert durch großartige südamerikanische selbstständig handelnde Institutionen, die dem Geist von Präsident Hugo Chávez und anderen fortschrittlichen Präsidenten folgen: Die Bolivarische Allianz der Amerikas (ALBA), die Union der Südamerikanischen Nationen (UNASUR), die Entwicklungsbank des Südens (Banco Sur) und andere gemeinschaftsbildende Institutionen sind Resultat seiner Initiative. Der Ausschluss der USA wird bleiben und die US-Einflussorganisation OAS (Organisation Amerikanischer Staaten), wo sie präsent sind, verliert deshalb jeden Tag an Bedeutung.

Beim Amerika-Gipfel im kolumbianischen Cartagena der OAS versammelten sich am 12.4. 2012 die Außenminister von 34 Staaten des Kontinents. Die Frage der US-Botschafterin entsprach dem Realitätsverlust der USA, als sie verzweifelt wissen wollte, was sich eigentlich geändert habe, warum die Mitgliedsstaaten heute eine andere Position vertreten würden als früher. „Was sich geändert hat, ist Amerika. Wir sind freie, unabhängige Länder“, sei die einstimmige Antwort gewesen. Zuvor hatten sich die Vertreter von 32 amerikanischen Staaten dafür ausgesprochen, die Ausgrenzung Kubas von diesen Treffen zu beenden.

Die OAS, zu der auch die USA gehören, ist ein Anachronismus geworden, überholt von der weiteren politischen Entwicklung Lateinamerikas fern von Washington. Die USA wissen es, aber brauchen die OAS, um ihre Rolle in ihrem früheren Hinterhof weiter zu spielen. Die lateinamerikanischen Staaten brauchen sie aber nicht. Sie sind weiter gegangen und haben sich längst mit der Organisation der Staaten Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) ihren eigenen Zusammenschluss geschaffen – mit Kuba, aber ohne die USA und Kanada.

Washington musste es in Cartagena am 12.4.2012 erneut erleben, dass es keinen lateinamerikanischen Hinterhof mehr hat. Selbst den USA ideologisch nahestehende Regime wie die Kolumbiens und Chiles mucken auf, und Mexikos damaliger konservativer Präsident Felipe Calderón legte vor seiner Reise zum Gipfel sogar erst einmal einen demonstrativen Abstecher in Havanna ein. Heute regiert wieder die alte Revolutionspartei in Mexiko und Kuba hat aber immer darauf hingewiesen, kein weiteres Interesse an der OAS zu haben, in der jahrzehntelang die USA das Sagen hatten. Durch die Gründung der CELAC (Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten) Ende 2011 scheint diese Strategie erfolgreich zu sein.

Ecuadors Präsident Rafael Correa blieb dem Lateinamerika-Gipfel (OAS) in Cartagena fern, um gegen den Ausschluss Kubas zu protestieren. Die übrigen Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz ALBA haben auf einen angedrohten Boykott verzichtet.

Allerdings wird es keine weiteren Gipfeltreffen ohne Kuba mehr geben. Das nächste soll in Panamá 2015 oder 2016 stattfinden. Das lateinamerikanische Gipfel-Treffen von Cartagena kritisierte die US-Dominanz und deren Aggressivität, die sich vielfach belegen lässt: In Honduras, Haiti, mit der Kuba-Politik und auch der Weigerung, einer Souveränität Kubas über Guantánamo oder Argentiniens über die Malwinen zuzustimmen.

Doch wirtschaftlich ist bislang niemand in der Lage, von den USA unabhängig zu sein. Es gibt allerdings zukunftsweisende Initiativen wie der Bank des Südens oder der lateinamerikanische Rechnungswährung SUCRE. Der Anfang ist damit gemacht. CELAC fördert wirtschaftlich-finanzielle unabhängige Initiativen auf lateinamerikanischer Ebene, um dem Einfluss Washingtons zu entgehen.

Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández Kirchner verstaatlicht einer nationalen Erdölkonzerns. Betroffen von der argentinischen präsidential-parlamentarischen Maßnahme war in erster Linie ein spanischer Energiemulti. Eine für den 19.4.2012 geplante bilaterale Beratung zwischen Buenos Aires und Brüssel wurde von der EU abgesagt.

Die souveräne Entscheidung Argentiniens trifft Europa ins Mark seines neoliberalen Systems. Im Januar 2013 bei dem CELAC-Treffen in Santiago de Chile, wobei die USA nicht eingeladen waren, konnte die Bundeskanzlerin Angela Merkel und die EU selbst spüren, wie selbstsicher unabhängig Lateinamerika geworden ist, fern von jedem Brüssel/Washington-Diktat. Die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner widersprach entschlossen der Bundeskanzlerin und betonte die Abgrenzung Lateinamerikas von einer US/EU-geführten Freihandelszone ALCA, die am Widerstand der lateinamerikanischen Ländern gescheitert ist. Lateinamerika wird nur Gegenmodelle befürworten und entwickeln, die den lateinamerikanischen Interesse entsprechen. Das entscheiden souverän die lateinamerikanischen Staatschefs. Kuba, Bolivien, Ecuador, Argentinien, Brasilien und Venezuela sind fortschrittliche Länder mit linken Regierungen. Der konservative Präsident Chiles ist weit von den rückläufigen, rückständigen deutschen Konservativen entfernt, die innerhalb der CDU jede notwendige Wende verhindern und die Entwicklung Lateinamerikas nicht verstehen können. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), hat kein Recht, Venezuelas verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez für seine herzlichen Beziehungen zum iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zu kritisieren. Diese Zumutung manifestiert lediglich die krasse Ignoranz von Ruprecht Polenz darüber, dass es in Teheran war, wo die blockfreien Staaten am 30. und 31. August 2012 ihr letztes Gipfeltreffen hatten und dabei der iranische Präsident den Vorsitz der Blockfreien Staaten in Anwesenheit des UNO-Generalsekretärs Ban Ki Moon übernahm. Also wenn der CDU-Vorsitzende eines Auswärtigen Ausschusses dieses internationales Ereignis ignoriert und keine Konsequenzen daraus zieht, ist das nur peinlich prekär, aber bezeichnend für die CDU-Außenpolitik Deutschlands. Die blockfreien Staaten, unter ihnen Venezuela zusammen mit allen lateinamerikanischen, afrikanischen und islamischen Staaten gestalten die überragende Mehrheit der UN-Weltstaatengemeinschaft, eine Mehrheit von Staaten, die viel näher zum iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad stehen als zur EU, die nicht einmal den diplomatischen Einfall hatte, auf der Teheraner Blockfreien-Konferenz als Beobachter präsent zu sein. Lateinamerika kann nichts dafür, wenn ein Vertreter der CDU durch zionistische Augen das gute Verhältnis anderer Ländern mit dem Iran und Syrien nicht wahrhaben kann. Aber nicht nur gute Beziehungen mit dem Iran, sondern gute Beziehungen zu Russland und China pflegen die linken Regierungen der Region. Solche Länder verstehen und respektieren die wahren Interessen der blockfreien Staaten, während die USA/EU lediglich sich selbst durch ihre egoistischen Interessen vertreten. Nicht verwunderlich, dass der neue Präsident Venezuelas, Nicolás Maduro, der in den Fußstapfen von Hugo Chávez eintritt, weiter die Freundschaft zu Russland, China und Iran pflegen wird, Ruprecht Polenz und seiner Mumienversammlung CDU/CSU/FDP zum Trotz.

Ein Land voller Vorurteile wie Deutschland, wo die Pressefreiheit von wenigen Konzerne dirigiert wird, ist kein Vorbild für Demokratie. Dirigierte Medien und Journalisten können deshalb nicht verstehen, dass ein souveränes Land wie Venezuela gerade solche private Medien abgrenzt, um dem eigenen Volk vor Lügen, Verfälschungen und Verdrehungen zu bewahren, Verdrehungen, Fälschungen und Lügen, die dagegen bei deutschen Konzern-Medien dominieren. Was für eine Pressefreiheit!

Schon 1999 wählten die Venezolaner Hugo Chávez als Präsident Venezuelas. Am 7.Oktober 2012 gewann der Präsident Chávez seine vierte Präsidentschaftswahl. Als führende Persönlichkeit der lateinamerikanischen Linksbewegung wird sein Geist weiter als große Kraft und Symbol der Befreiung von der Unterdrückung wirken. Er hat nicht nur die Liebe seines Volkes hinter sich, sondern auch die Liebe der großen lateinamerikanischen Mehrheiten und aller Menschen, die guten Herzens sind. Die Liebe ist stärker. Das ist es, was die Achse USA/EU am meisten befürchtet. Daher der schäbige niederträchtige Versuch, den guten Ruf von Hugo Chávez zu beschädigen, wie bei der Süddeutschen Zeitung und beim ZDF (7.3.2013) kurz nach seinem Tod offensichtlich war. CDU/CSU/FDP sind nicht in der Lage zu erkennen und zu akzeptieren, dass nicht nur der Präsident Venezuelas, sondern die meisten lateinamerikanischen Staatschefs sich längst einig darüber sind, den politischen Einfluss und Diktat der USA/EU zurückzudrängen, um eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zugunsten der Völker und nicht im Sinne der Profitinteressen der großen Konzerne anzustreben. Schon unter der ersten christdemokratischen Regierung Chiles (1964-1970) hat der damalige Außenminister Chiles, Gabriel Valdés, diese Notwendigkeit erkannt und sich für eigenständige lateinamerikanische Institutionen ohne die Mitgliedschaft der USA ausgesprochen. Legendär war damals die Erklärung von Lima, die der Außenminister Gabriel Valdés höchst persönlich an Präsident Richard Nixon übergab. Dass die deutsche CDU sich so abhängig und kleinkariert gegenüber den USA zeigt, ist kein Problem Venezuelas, sondern ein hiesiges Problem der rückständigen CDU. Die Linke und Venezuela können nichts dafür.

Der Neoliberalismus-Orthodoxie zufolge mit ihren verheerenden Instrumenten Weltbank und Internationaler Währungsfond wollte die unverbesserliche Achse USA/EU dem krisengeschüttelten Lateinamerika mit ähnlichen Rezepten helfen, wie sie es heute in Griechenland, Spanien oder Portugal versucht. Privatisierung und Entschlackung waren das Gebot der Stunde. Vor allem Spanier schlugen zu. Das lateinamerikanische-Geschäft war ein Motor des kurzlebigen iberischen Booms. Das Rezept für Argentinien hat sich nicht ausgezahlt. Die Selbstversorgung Argentiniens liege im nationalen Interesse, heißt es heute unter der Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Es sei das einzige Land Lateinamerikas, das keine Kontrolle über seine Naturressourcen habe. Dem liegt ein Lerneffekt zugrunde, Cristina Fernández Kirchner war früher Anhängerin der Privatisierung.

Andere Länder Lateinamerikas haben die Privatisierungswelle der 1980er und 1990er Jahre längst revidiert und sich damit gegen den Welttrend gestellt. Im bettelarmen Bolivien verstaatlichte Präsident Evo Morales 2006 die Öl- und Gasquellen. Morales drehte das Verhältnis um und seine Regierung hatte nun plötzlich Geld, um erstmals in Boliviens Geschichte den Haushalt zu sanieren und Ansätze eines Sozialsystems zu schaffen – in einem Land, das niemals auch nur die geringste öffentliche Versorgung gekannt hatte, sondern nur das barbarische, menschenfeindliche Recht des Stärkeren.

Im Boomland Brasilien gilt weiterhin der Lula-Grundsatz: Alles, was in Brasilien passiert, muss den Brasilianern zugute kommen, deshalb kontrolliert der Staat das Öl-Geschäft. Selbst das wirtschaftsliberale Chile behielt seine staatlichen Kupferminen. Es geht jetzt nicht um irgendeinen Sozialismus, sondern erst einmal darum, die Staatssouveränität wiederzugewinnen. Das bedeutet, das Recht der Beschlagnahmung durch das Vaterland, wenn ein Gut als Gemeingut gelten soll. Dieses neue Recht ist in Lateinamerika und auf alle anderen Kontinenten zu verankern: Ein kollektives, ziviles Eigentum der Grundgüter wie Wasser und Energie.

Der resultierende Streit mit Spanien fällt deshalb so erbittert aus, weil er an der Bruchlinie gegensätzlicher Systeme stattfindet. Spaniens konservativ-neoliberale Regierung ist gerade dabei, die Souveränität über die Wirtschaft abzugeben. Deshalb wirkt das kriegerische Protestvokabular aus Madrid unverhältnismäßig. Versöhnlich und als angemessene Wertschätzung des venezolanischen Volkes wirkt dagegen die Entscheidung der spanischen Monarchie, Kronprinz Felipe zur Trauerfeier nach Caracas zu schicken.

Das Vertrauen in die freien Kräfte des Marktes schwindet, ja, es ist so gut wie weg. Die Protagonisten der schrankenlosen Marktfreiheit haben sich diesen Vertrauensverlust selbst zuzuschreiben. Nirgendwo waren ihre Chancen so groß wie in Lateinamerika, und nirgendwo haben sie eine solche soziale Ungleichheit geschaffen. Das wird nun bestraft.

Von einem US-Präsidenten Obama und einer deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nicht die Größe und humane Sensibilität vor dem venezolanischen Volk zeigen, wenigstens ein respektvolles Beileid für den großen Verlust seines geliebten Präsidenten zu manifestieren, kann man keine konstruktive Arbeit, keine konstruktive Beziehungen erwarten. Realismus ist erforderlich, um zu erkennen, dass die USA /EU gegenüber der selbstbestimmt gesteuerten Entwicklung Venezuelas und Lateinamerikas feindselig bleiben, weil sie nicht dem kapitalistischen wirtschaftliches Modell der hegemonialen Industrieländer folgen wollen. Sie entscheiden ihr eigenes Entwicklungsmodell gemäß der Prioritäten ihrer Bevölkerung. Die Massen lassen sich nicht täuschen. Aus Russland und anderen Ländern der Welt erhalten sie ehrliche Würdigung ihres Präsidenten und Solidarität in diesen Stunden der Trauer über den großen humanen Verlust.

Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait