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13. August 2014 - Wolfgang Behr:

Leserbrief zu den Artikeln „Wenn Ihr stecht ...", „Wir stehen alle unter Schock“, „Die Globalisierung des Antisemitismus“ in der Süddeutschen Zeitung:

Je weniger einige SZ-Kommentatoren von Karl-Heinz Ott über Bernd Dörries bis Ulrich Beck in den letzten Wochen von den Ursachen und Zusammenhängen des Jahrzehnte alten Palästina/Israel-Konflikts zu verstehen scheinen, um so mehr versuchen sie, von den Verbrechen der israelischen Armee in Gaza durch eine realitätsferne Dämonisierung der Hamas und aufgeregtes Heraufbeschwören eines neuen, sogar globalen Antisemitismus abzulenken. Sie werden so Sprachrohre der israelischen Propaganda.

Der jüdisch-französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser kritisiert die totale Identifizierung der jüdischen Gemeinden mit Israel. Und der israelische Journalist Uri Avnery spricht von der fast vollkommenen Identifikation der Diaspora-Juden mit Israel, die unvermeidlich dazu führen wird, allen Juden die Schuld an Israels Untaten zu geben.

Die verurteilenswerten europaweiten Angriffe auf Synagogen und einzelne jüdische Mitbürger müssen sich also nicht aus einem grundsätzlichen Antisemitismus speisen.

Gerade durch diese Identifikation mit Israel sehen Araber bzw. Moslems in den Synagogen nicht in erster Linie jüdische Kultstätten, sondern Zentren der Israellobby und des Zionismus, einer nach dem israelischen Historiker Ilan Pappe bösartigen, rassistischen und kolonialistischen Ideologie, die zu der menschenverachtenden Politik gegenüber den Palästinensern führt. Und wenn einer ihrer Kommentatoren von „Free Palestine krakeelenden Arabern“ bei israelkritischen Demonstrationen spricht, zeigt er nur, wie wenig er das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung eines grausam unterdrückten Volkes ernst nimmt. Die Beschwörer des neuen Antisemitismus verschweigen nur allzu gern die widerliche Welle von Faschismus, die Israel gegenwärtig überschwemmt. Lynch-Pöbel hat in Jerusalem mit dem Ruf „Tod den Arabern“ Jagd auf sie gemacht, Moscheen wurden mit der Aufschrift „Araber in die Gaskammern“ beschmiert, kritische Journalisten von der Zeitung Ha’aretz wie Gideon Levy brauchen Personenschutz. Universitätsprofessoren, die es gewagt hatten, Frieden zu befürworten, wurden zensiert, Künstler, deren Meinung auch nur in geringem Maße abwich, wurden abgelehnt.

Der Likud-Abgeordnete Moshe Feiglin verstieg sich zu der Aussage:

"Ein Haar auf dem Haupt eines israelischen Soldaten ist kostbarer als die gesamte Bevölkerung von Gaza."

Oder der Knesset-Abgeordnete der rechtsextremen Regierungspartei „Jüdisches Heim", Ajelet Schaked:

"Man solle die Mütter festgenommener 'Terroristen' töten, damit sie keine weiteren Terroristen gebären können."

Alfred Grosser hat also recht wenn er sagt:

„Opfer zu sein, hat noch niemanden daran gehindert, Henker zu werden“

Und ich möchte mit der jüdisch-amerikanischen Philosophin Judith Butler schließen:

„Wenn wir aus Angst davor, als antisemitisch etikettiert zu werden, unsere Kritik begraben, überlassen wir denen die Macht, die den freien Ausdruck politischer Überzeugungen beschneiden wollen.“

Wolfgang Behr


16.05.2014, Ravit Hecht:
A Knesset member whose irresponsible violence belies her appearance

15.07.2014, Moshe Feiglin:
Plan for a Solution for Gaza

31.07.2014, Knut Mellenthin:
»Tod den Arabern und den Linken« ( alternativ )


08.08.2014, Bernd Dörries:
“Wir stehen alle unter Schock“

11.08.2014, Ulrich Beck:
Globalisierung des Antisemitismus