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14. Juni 2016 - Nirit Sommerfeld:

Offener Brief an ARTE und WDR zur richtigen Entscheidung, den Film "Auserwählt und ausgegrenzt" nicht zu zeigen:

Sehr geehrte ARTE-Redaktion, sehr geehrte WDR-Redaktion!

Zunächst möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie Ihrer Verpflichtung als öffentlich-rechtliche Sender nachkommen und reiflich prüfen, ob ein in Auftrag gegebenes Werk den Anforderungen entspricht, die mit dem Auftrag erteilt wurden. Nach qualvollen 90 Minuten sehr aufmerksamen Zuschauens des Filmes "Auserwählt und ausgegrenzt“ von Joachim Schröder und Sophie Hafner bin ich mir ganz sicher, dass Sie eine richtige Entscheidung getroffen haben, diesen Film nicht auszustrahlen. Vieles ist inhaltlich falsch, tendenziös, polemisch, propagandistisch, einseitig und entspricht keinen journalistischen Standards, ist also vollkommen unbefriedigend, streckenweise sogar skandalös. Zudem verschleiert der Film das wirklich wichtige Thema - nämlich die Frage nach dem aktuellen Antisemitismus in Europa - und missbraucht es, indem er den Nahostkonflikt ins Zentrum stellt, dabei den Boden der Tatsachen verlässt, ihn unter Missachtung der Besatzungsrealität manipulativ verwendet und ihn (bzw. ‘die Araber’) als Ursache des europäischen Antisemitismus ausmacht.

Vermutlich werden Sie massiv in eine vollkommen falsche Ecke gedrängt, in der man Ihnen Verschleierung von Antisemitismus, Selbstzensur und Ähnliches vorwerfen wird. Ich kenne das persönlich sehr gut: Selbst in Israel geboren und aufgewachsen, habe ich die meiste Zeit meines Lebens in Deutschland verbracht. Nach zwei Jahren mit meiner Familie in Tel Aviv bin ich 2009 mit einem vollkommen anderen Bild aus Israel und Palästina zurück gekommen. Seither setze ich mich u.a. mit dem Bündnis zur Beendigung der israelischen Besatzung BIB e.V. für gleiche Rechte für Israelis und Palästinenser ein. Diese werden in dem Film von Joachim Schröder zwar suggeriert, doch die Realität ist weit davon entfernt. Dies zu benennen, bringt einem sofort den Vorwurf des Antisemitismus ein - selbst mir und anderen Juden und Israelis, selbst wenn sie die zweite Generation von Holocaust-Opfern sind, wie das bei mir oder dem Vorsitzenden unseres Bündnisses Prof. Rolf Verleger der Fall ist.
Prof. Verleger hat an einer Studie von Prof. Kempf zu Antisemitismus mitgearbeitet, die bisher leider nur in Fachkreisen Beachtung gefunden, aber Erstaunliches zutage gebracht hat, vor allem über den Zusammenhang von Israelkritik und Antisemitismus. Nichts in dem genannten Film deckt sich mit den Erkenntnissen dieser Studie.

In der Anlage habe ich zu einer ganzen Reihe von Filmsequenzen Kommentare geschrieben, die Sie gerne in die interne oder öffentliche Diskussion einbringen können - allerdings ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Ich biete Ihnen zusätzlich gerne an, mich mit einigen Experten von BIB noch differenzierter mit dem Inhalt Filmes (der die Bezeichnung ‘Dokumentation’ nicht verdient) auseinander zu setzen und Ihnen weitere fundierte Argumentationshilfen für die Nicht-Ausstrahlung dieses Filmes an die Hand zu geben.
Gerne stehen wir für Gespräche oder Treffen bereit.

Mit besten Grüßen,
Nirit Sommerfeld,
deutsch-israelische Künstlerin - BIB Geschäftsführerin