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April 2014 - Andreas Zumach:

Rußland und die NATO:

Der Kalte Krieg wurde von den Siegern nie ganz beendet

Ist mit der eindeutig völkerrechtswidrigen, durch militärische Gewaltmittel- und Drohungen herbeigeführten Annexion der ukrainischen Krim durch Rußland der Kalte Krieg zurückgekehrt? Tatsächlich ist der Kalte Krieg durch seine Sieger, die westlichen Mitgliedsstaaten von NATO und Europäischer Union, nie völlig beendet worden. Zwar verschwand nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der nachfolgenden Auflösung zunächst der östlichen Militärallianz des Warschauer Paktes und dann auch der Sowjetunion der ideologische Gegensatz zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Und auch die atomaren wie konventionellen Rüstungsarsenale, die seit Gründung der NAT0 1949 und des Warschauer Pakts 1955 auf dem eurasischen Kontinet angehäuft wurden, sind in den letzten Jahren 25 Jahren deutlich reduziert worden. Doch der macht-und geopolitische Antagonismus zwischen der NATO und Rußland blieb weitgehend erhalten. Dabei bestand 1989ff. die historische Chance, Rußland mit gleichen Rechten und Pflichten in das „Gemeinsame Europäische Haus“ einzubinden, das Michail Gobatschow, der von 1985 bis 1991 amtierende letzte Präsident der Sowjetunion und Generalsekreträr der Kommunistischen Partei damals anstrebte. Zunächst sah es so aus, als würde diese historische Chance auch von den NATO-Staaten ergriffen.Institutioneller Rahmen für dieses „Gemeinsame Haus“ sollte die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) werden, die 1975 in Helsinki von den damals 23 Mitgliedsländern der beiden konkurrierenden Militärblöcke sowie den zwölf blockfreien Staaten Europas von Finnland über Jugoslawien bis zur Schweiz gegründet wurde. "Der KSZE-Prozeß ist ein Herzstück dieser gesamteuropäischen Architektur „ erklärte Ende November 1989 der damalige westdeutsche Bundeskanzler Helmut Kohl in seinem „Zehn-Punkte -Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas". Im Februar 1990 versprachen Kohl und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher sowie dessen US-amerikanischer Amtskollege James Baker bei zwei Besuchen in Moskau Gorbatschow als Bedingung für dessen Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung, die NATO werde nicht über das vereinte Deutschland hinaus ausgedehnt. Kronzeuge für dieses Versprechen, das heute in Deutschland von mancher Seite bestritten wird, ist der damalige US-Botschafter in Moskau, James Matlock. Er war anwesend beim Gepräch zwischen Gorbatschow, dessen Außenminister Eduard Shevardnadse und Baker Anfang Februar 1990. Dem Autor dieses Artikels gegenüber bestätigte Genscher nach seiner Rückkehr aus Moskau am 12. Februar 1990 auf dem gemeinsamen Flug zu einer KSZE-Konferenz im kanadischen Ottawa das Gorbatschow gegebene Versprechen.

Beim KSZE-Gipfeltreffen im November 1990 in Paris verabschiedeten die Staats-und Regierungscharta der 35 Mitgliedsländer die „Charta für ein neues Europa“. Darin verpflichteten sie sich, auf allen Ebenen und ganz ausdrücklich auch bei der Sicherheitspolitik zusammenzuarbeiten,, Streitfälle ausschließlich mit friedlichen Mitteln zu lösen ,sowie die KSZE politisch und institutionell zu stärken und auszubauen.

Doch statt diese Versprechen auf eine gesamteuropäische Entwicklung unter gleichberechtigter Beteiligung Rußlands umzusetzen und nach dem Zerfall des Warschauer Paktes auch die NATO aufzulösen, betrieben ihre Mitgliedsstaaten die Expansion der westlichen Militärallianz nach Osten bis an die russische Grenze. Über die Vorstufen des „NATO-Kooperationsrates (ab Ende 1991) sowie des Programms „Partnerschaft für den Frieden“ (ab Anfang 1994) wurden zunächst Polen, Ungarn und Tschechien an die NATO herangeführt und schließlich 1999 als Vollmitglieder aufgenommen. 2004 folgten die Slowakei, Bulgarien und Rumänien sowie die ehemals zur Sowjetunion gehörenden drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen. Diese Expansion der NATO Richtung Osten war ein Bruch der Versprechen, Kohl ,Genscher und Baker Gorbatschow im Februar 1990 gegeben hatten.

Um die russischen Bedenken gegen ihre Expansion gen Osten zu zerstreuen, bot die NATO Moskau 1997 die Schaffung eines „NATO-Rußland-Rates“(NRR) zur Koordination und Kooperation an. Doch in den wesentlichen sicherheitspolitischen Krisen der letzten 17 Jahre wurde dieses Grmeium von der NATO entweder gar nicht genutzt oder Rußland immer nur eine zweitrangige Rolle zugestanden. Ihren völkerrechtswidrigen Luftkrieg gegen Serbien/Montenegro („Kosovo-Krieg“) vom Frühjahr 1999 führte die NATO gegen die Bedenken Rußlands. Ein im Herbst 1998 präsentierterVorschlag für die Stationierung einer gemeinsamen, vom UNO-Sicherheitsrat mandatierten amerikanisch-russischen Blauhelmtruppe im Kosovo wurde in Washington und den Hauptstädten anderer NATO-Staaten verworfen. Auch die späterte völkerrechtliche Anerkennung des von Serbien abgespaltenen Kosovos, die Putin im akteullen Ukraine-Konflikt als Präzedenzfall zur Rechtfertigung seiner Annexion der Krim heranzieht, wurde von den NATO-Staaten gegen erhebliche Bedenken Moskaus vollzogen.

Beim ihrem nach offizieller Darstellung gegen vermeintliche Bedrohungen aus Iran und anderen Staaten des Nahen/Mittleren Ostens gerichteten „Raketenabwehrprogramm“, dessen wesentliche Teile in Rumänien und Polen sowie eventuell Tschechien stationiert werden sollen, hat die NATO Rußland zwar zur Teilnahme eingeladen. Doch eine gleichberechtigte Beteiligung Rußlands an der Planung, Stationierung und dem Betrieb der Aufklärungsradars und Raketenstellungen sowie an künftigen Entscheidungen über den Einsatz der Abwehrrakaten will die NATO nicht zulassen. Daher hält sich - nicht nur in Moskau sondern auch bei unabhängigen westlichen Rüstungsexperten der Verdacht - daß sich daß sich das „Raketenabwehrprogramm“ der NATO in Wahrheit gegen Rußland richtet.

Im Libyenkonflikt 2011 wurde die Regierung Putin von der NATO „übergangen und ausgetrickst“, beklagen Moskaus Diplomaten bei der UNO. Mit ihrer Enthaltung im UNO-Sicherheitsrat ermöglichten Rußland und China zunächst die Annahme der Resolution zur Schaffung einer Flugverbotszone über Libyen. Doch dann führten die NATO-Führungsmächte USA, Frnakreichund Großbritannien unter „mißbräuchlicher" Berufung auf diese UNO-Resolution einen wochenlangen Krieg bis zum Sturz des Gaddafi-Regimes, und der UNO-Sicherheitsrat hatte keinen Einfluß mehr auf das Geschehen.

Auf großem Argwohn stoßen in Moskau die Bestrebungen in den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien und Moldawien zu einem NATO-Beitritt. Unterstützt werden diese Bestrebungen von den osteuropäischen NATO-Mitgliedern sowie von den USA während die meisten westeuropäischen NATO-Staaten sich zumindest bislang eher skeptisch zeigen .Die politische und zum Teil auch militärische Unterstützung Rußlands für die Abpaltung der Provinzen Abchasien und Südossetien von Georgiens sowie Transnistriens von Moldawien ist der Versuch, die B eitrittspläne zur NATO zu torpedieren.

Mit der Ukraine vereinbarte die NATO bereits 1997 einen militärischen Partnerschaftsvertrag. Darin verpflichtete sich die Ukraine, an militärischen Operationen der NATO teilzunehmen, die entweder mit Mandat des UN-Sicherheitsrates durchgeführt werden oder unter Leitung der OSZE stehen.

Zudem wurden gemeinsame militärische Übungen zu Land und im Schwarzen Meer vereinbart sowie die Ausbildung ukrainischer Soldaten durch die NATO. Seitdem unterhält die Ukraine eine militärische Verbindungsstelle im Brüsseler Hauptquartier der Allianz und die NATO ein „Informations- und Dokumentationszentrum“ in Kiew. Gegen einen Aktionsplan für einen NATO-Beitritt der Ukraine, auf den vor allem die USA drängten, sprach sich 2.005 nur eine Minderheit der ukrainischen Bevölkerung aus.

Mit ihrer fatal falschen historischen Weichenstellung und ihrer Politik gegenüber Rußland seit dem Fall der Berliner Mauer haben die NATO-Staaten nicht nur die Sowjetnostalgiker und geostrategegischen Falken in Moskau gestärkt. Auch die große Zustimmung in der russischen Bevölkerung - und auch Gorbatschows - für Putin und seine völkerrechtswidrige Annexion der Krim ist nur verständlich auf der Folie dieser Enttäuschungserfahrungen mit dem Westen seit 1989.


10.04.2014: Artikel in der WOZ