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2. August 2014 - Richard Falk u.v.a.m.:

Gemeinsame Erklärung zu Internationalem Recht und Gaza

Die internationale Gemeinschaft muss Israels kollektive Bestrafung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen beenden. Als Rechtswissenschafter auf dem Gebiet des Internationalen Rechts und des Strafrechts, Verteidiger des Menschenrechts, als Gesetzesexperten und Individualisten, die fest an die Rolle des Rechts glauben und an die Notwendigkeit, dieses Recht in Zeiten des Friedens zu achten, aber vor allem in Zeiten des Krieges, halten wir es für unsere intellektuelle und moralische Pflicht, die schweren Verstöße, die Täuschungsmanöver und die Missachtung der wichtigsten Prinzipien des Rechts in Zeiten bewaffneter Konflikte anzuprangern und auch die Missachtung der fundamentalen Menschenrechte der gesamten palästinensischen Bevölkerung, gegen die bei der anhaltenden israelischen Offensive gegen den Gazastreifen verstoßen wurde. Wir verurteilen ebenso die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen, so wie jeden rücksichtslosen Angriff auf Zivilpersonen, der ungeachtet der Identität der Angreifer, nicht nur illegal ist gemäß internationalem Recht, sondern auch moralisch untragbar. Jedoch kann man, wie auch implizit vom UN-Menschenrechtsrat in seiner Resolution vom 23. Juli 2014 festgehalten wurde, die beiden Parteien bei dem Konflikt nicht als gleich(stark) erachten, und es ist ersichtlich, dass ihre Aktionen – wieder einmal - von unvergleichbarem Ausmaß (unverhältnismäßig) sind.

In seinem Gutachten hinsichtlich der Atomwaffen stellte der ICJ (International Court of Justice, Internationaler Gerichtshof in Den Haag, Anm.: C. Ronnefeldt) fest, dass das Unterscheidungsprinzip, das von den kriegsführenden Staaten verlangt, zwischen Zivilpersonen und Kämpfern zu unterscheiden, eins der „Kardinalprinzipien“ des internationalen humanitären Rechts und der „intransgressiblen Prinzipien des internationalen Völkergewohnheitsrecht“ ist. Das Prinzip der Unterscheidung ist festgeschrieben in den Artikeln 48, 51(2) und 52(2) des Zusatzprotokolls 1 von 1977 zu den 1949 Genfer Konventionen, für die es keine Vorbehalte gegeben hatte. Gemäß dem Zusatzprotokoll I, beziehen sich „Angriffe“ auf Gewaltakte gegen den Gegner, entweder zum Angriff oder zur Verteidigung“ (Artikel 49).

Sowohl unter dem Völkergewohnheitsrecht als auch unter dem Vertragsrecht, ist das Verbot, Angriffe auf die Zivilbevölkerung zu richten oder auf zivile Ziele, unumstößlich. Dabei gibt es keinen Ermessungsspielraum, um sich auf eine militärische Notwendigkeit als Rechtfertigung zu berufen.

Im Gegensatz zu Israels Behauptungen können Fehler nicht gerechtfertigt werden, die in zivilen Opfern enden: falls Zweifel über den Charakter des Zieles bestehen, legt das Gesetz eindeutig fest, dass vorausgesetzt wird, dass eine Sache, die zivilen Zwecken dient (wie Schulen, Häuser, Plätze zum Beten und medizinische Einrichtungen) nicht für militärische Zwecke eingesetzt wird. In diesen letzten Wochen forderten UN-Offizielle und Repräsentanten wiederholt von Israel, sich bei Angriffen auf den Gazastreifen, wo die Risiken sich aufgrund der sehr hohen Bevölkerungsdichte zuspitzen, strikt an die Vorsichtsmaßnahmen zu halten, und dass ein Maximum an Zurückhaltung ausgeübt werden muss, um zivile Opfer zu vermeiden. (...)

Die rücksichtslosen und unverhältnismäßigen Angriffe, das Zielen auf Ziele, die keinen effektiven militärischen Vorteil verschaffen und das vorsätzliche Zielen auf Zivilpersonen und deren Häuser waren persistente Charakterzüge von Israels langjähriger Politik der Bestrafung der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens, die sieben Jahre lang durch die von Israel verhängte Blockade praktisch eingesperrt war. Solch ein System läuft auf eine Art Kollektivstrafe hinaus, die gegen das in Artikel 33 der Vierten Genfer Konvention festgelegte bedingungslose Verbot verstößt und international aufgrund der Rechtswidrigkeit verurteilt wurde. Weit entfernt davon, dass internationale Akteure dagegen opponieren, wurde Israels illegale Politik der absoluten auf Gaza verhängten Blockade unter dem Mittäterblick der internationalen Gemeinschaft von Staaten trotzdem fortgesetzt. Wie im Jahre 2009 von dem für den Gazakonflikt zuständigen UN-Untersuchungskomitee bekräftigt: „ Gerechtigkeit und Achtung vor der Rolle des Gesetzes ist die ununabdingbare Basis für Frieden. Die länger anhaltende Situation hat eine Krise des Rechtssystems in dem besetzten palästinensischen Gebiet geschaffen, was eine Handlung rechtfertigt (A/HRC/12/48, pra.1958). In der Tat:

„Die langanhaltende Straflosigkeit war ein Schlüsselfaktor bei der Aufrechterhaltung der Gewalt in der Region und bei der Wiederholung von Gewalttaten sowie bei der Beeinträchtigung des Vertrauens unter den Palästinensern und vielen Israelis hinsichtlich der Aussicht auf Gerechtigkeit und eine friedlichen Lösung des Konfliktes“. (A/HCR/12/48, para.1964)

Deshalb begrüßen wir die Resolution, die am 23. Juli 2014 von dem UN-Menschenrechtsrat angenommen wurde, in der eine unabhängige internationale Untersuchungskommission eingesetzt wurde, um sämtliche Verstöße gegen das internationale humanitäre Recht und gegen die internationalen Menschenrechte in dem besetzten palästinensischen Gebiet zu untersuchen. Wir appellieren an die Vereinten Nationen, die Arabische Liga, die Europäische Union, die einzelnen Staaten, insbesondere an die USA und die internationale Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit und mit all ihrer kollektiven Macht, mit höchster Dringlichkeit zu handeln, um die Eskalation der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens zu beenden und Prozesse zu aktivieren, um all jene zur Rechenschaft zu ziehen, die die Verstöße gegen das internationale Recht zu verantworten haben, einschließlich politischer Führer und Militärkommandanten.

Insbesondere: Alle regionalen und internationalen Akteure sollten den sofortigen Beschluss eines dauerhaften, umfassenden und beidseitig vereinbarten Waffenstillstandsabkommens unterstützen, das die schnelle Erleichterung und den Zugang für humanitäre Hilfe sicherstellt und die Öffnung der Grenzen nach und von Gaza; Alle hochrangigen Vertragsparteien der Genfer Konventionen müssen dringend und bedingunglos aufgefordert werden, ihre fundamentalen Verpflichtungen, die jederzeit bindend sind, zu erfüllen und gemäß dem bekannten Artikel 1 zu agieren und alle notwendigen Maßnahmen zur Unterdrückung der Verstöße ergreifen, wie in Artikel 146 und Artikel 147 der Vierten Genfer Konvention festgeschrieben ist. Diese Regeln sind auch von allen interessierten Parteien anwendbar; Außerdem prangern wir den schamlosen politischen Druck an, der von einigen UN-Mitgliedsstaaten und von der UN auf Präsident Mahmoud Abbas ausgeübt wurde, um ihn vor der Rückhaltsuche beim Internationalen Strafgerichtshof (ICC) abzuschrecken, und wir drängen die verantwortlichen Führer von Palästina, sich auf die Rechtssprechung des ICC zu berufen, indem sie den ICC-Vertrag ratifizieren. In der Übergangszeit sollten sie die Erklärung gemäß Artikel 12 (3) der römischen Statuten neu einreichen, um die schwerwiegenden internationalen Verbrechen, die auf dem palästinensischen Territorium von allen Parteien des Konfliktes begangen wurden, zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen; und der UN-Sicherheitsrat muss letztendlich seinen Verpflichtungen in Bezug auf Frieden und Gerechtigkeit nachkommen, indem er die Situation in Palästina dem Ankläger des ICC überträgt. Unterzeichner dieser Erklärung sind:

  • John Dugard, Former UN Special Rapporteur on human rights situation in the Occupied Palestinian Territory
  • Richard Falk, Former UN Special Rapporteur on human rights situation in the Occupied Palestinian Territory
  • Alain Pellet, Professor of Public International Law, University Paris Ouest, former Member of the United Nations International Law Commission, France
  • Georges Abi-Saab, Emeritus Professor of International Law, Graduate Institute of International and Development Studies, Geneva, Former Judge on the ICTY
  • Vera Gowlland-Debbas, Emeritus Professor of International Law, Graduate Institute of International and Development Studies, Geneva, Switzerland
  • Chantal Meloni, Adjunct Professor of International Criminal Law, University of Milan, Italy (Rapporteur)
  • sowie mehrere Hundert weitere Wissenschafter/innen mit Forschungsschwerpunkt Internationales Recht und Menschenrechte.


Vom Englischen übersetzt von Inga Gelsdorf

[ Original in Englisch ]