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11. August 2014 - Ha'aretz, Amira Hass:

Grünes Licht aus Europa,
Gaza zu töten, zu zerstören, zu pulverisieren

Wenn die Sicherheit von Juden im Nahen Osten europäische Länder wie Deutschland und Australien wirklich interessieren würde, dann würden sie nicht immer weiter die israelische Besatzung unterstützen

Durch sein anhaltendes Schweigen unterstützt das offizielle Deutschland Israel auf seinem Trip der Zerstörung und des Todes im Krieg gegen das palästinensische Volk in Gaza. Dabei ist Deutschland nicht allein – Österreichs Schweigen verstärkt sich auch.

Warum denn diese beiden Länder herausgreifen? Kanzlerin Angela Merkel war ja nicht die einzige, die am 2. oder 3. Tag des Krieges erklärte, dass sie fest an der Seite Israels stünde. Die ganze Europäische Union unterstützte ja Israel und „sein Recht, sich zu verteidigen“.

Gut, Frankreich und Britannien haben sich ein bisschen gewunden in der letzten Woche und brachten ein paar klägliche Töne des Protestes zustande. Aber die Grundeinstellung der EU, am 22. Juli manifestiert, war laut genug zu hören. Dass sie nämlich die Seite, die sich unter der wieder verlängerten Abriegelung befindet, verantwortlich machte für die Eskalation. Diese Seite nämlich ist trotz aller europäischer Bekundungen des Rechts auf Selbstbestimmung und auf einen unabhängigen Staat in der Westbank und im Gaza nach 47 Jahren noch immer unter israelischer Besatzung.

EU-Mitgliedsländer und ganz offensichtlich auch die USA gaben Israel grünes Licht zu töten, zu zerstören und zu pulverisieren. Sie luden die Hauptverantwortung auf die Leute, die die Raketen abschossen. Die Raketen stören die „Ruhe und Ordnung“, gefährden die Sicherheit Israels, die ja so schwach und verwundbar ist, und immerzu ohne jeden Grund angegriffen wird.

Im Grund billigen die Vereinigten Staaten und Europa den status quo der Trennung des Gazastreifens von der Westbank. Die Abriegelung von Gaza und die Unterdrückung der Bevölkerung der Westbank bedeuten Israels Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Wer auch immer dies zu verletzen wagt, muss bestraft werden. Bei ihren leidenschaftlichen Erklärungen zu Israels Recht auf Selbstverteidigung versäumen es die offiziellen EU-Sprecher, das Recht der Palästinenser auf Sicherheit und Schutz durch die israelische Armee zu erwähnen.

Europa und die USA gaben Israel nicht erst jetzt beim Ausbruch der derzeitigen Feindseligkeiten grünes Licht zur Eskalation – zu zerstören, zu töten und Leiden zu verursachen in beispiellosem Ausmaß. Sie haben das schon 2006 getan als sie ganz vorne mitwirkten, die Hamas zu boykottieren, die gewählt wurde in einem demokratischen Verfahren.

Damals schon haben sie sich dafür entschieden, das gesamte palästinensische Volk zu bestrafen, ignorierend, weshalb diese Organisation eine Mehrheit bekam: wegen des von ihnen gehätschelten Schoßkinds, der Palästinensischen Autonomen Regierung. Dieses Regime bleibt von zwei Übeln behaftet: der Korruption und dem diplomatischen Unvermögen die Unabhängigkeit zu erreichen.

Die Handlungsweise der PA hat zu einer Situation geführt, in der Verhandlungen, der Wille zu Friedensverhandlungen mit Israel und sogar der Widerstand gegenüber einem bewaffneten Kampf aus moralischen und praktischen Gründen synonym steht für die Bereicherung einer kleinen Gruppe – gepaart mit einer zynischen Missachtung.

Weder Ruhe noch Ordnung

Man kann ja verstehen, dass israelische Sicherheits-Experten die sowohl offenen als auch unterschwelligen Strömungen in der palästinensischen Gesellschaft missdeuten, die die „Ruhe“ immer wieder stören. Ihre Gehirne sind nicht darauf programmiert, dass die Ruhe und Ordnung, die sie aufrechterhalten sollen, weder Ruhe noch Ordnung bedeuten.

Erst vor zwei Wochen hat Jacob Perry, Publikumsliebling und eine Schlüsselfigur im Dokumentarfilm „The Gatekeeper“, gesagt, er hoffe, dass das Sicherheits- Establishment in der Lage sei, die letzte Welle von Demonstrationen in der Westbank einzudämmen. „Diese Demonstrationen sind schlecht für sie und für uns,“ sagte der ehemalige Chef des Shin Bet in typisch paternalistischer Art. In der Tat fährt die Armee, ganz ohne seinen Rat abzuwarten, fort, Demonstranten zu töten, die in keiner Weise das Leben von Soldaten gefährdet haben. Das machen die jede Woche und verwunden dutzende Anderer (zwei Menschen wurden erst an diesem Wochenende getötet). Auch nach 47 Jahren kapieren die Sicherheits-Freaks nicht, dass Unterdrückung nicht zu Unterwerfung führt. Allerhöchstens schiebt das eine weit blutigere Konfrontation hinaus – wie es jetzt im Gaza passiert.

Aber was ist mit Europas Experten, Entwicklungshelfern, Ratgebern auf zivilem und militärischem Gebiet bei all dem, was man über die Jahre über Kolonialismus gelernt hat? Man sollte denken, dass all diese Leute und Ereignisse Europa davon hätten abhalten können, so einen ungeheuerlichen Fehler zu begehen wie den von 2006, von dem all diese Eskalationen ausgingen, die mit palästinensischem Blut getränkt sind.

Der Boykott der Hamas, der gesehen werden muss als ein politischer Boykott der gesamten palästinensischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten, hat Fatah und den PA-Präsidenten Machmud Abbas dazu ermutigt, die Wahlergebnisse mit undemokratischen Mitteln zu verdrehen. Der Boykott und die Missachtung der Wahlergebnisse durch den Westen haben die Hamas nur zu extremem und verzweifeltem Handeln getrieben, sie in der öffentlichen Meinung zum Märtyrer und einer möglichen Alternative gemacht.

Tatsächlich war das kein „Fehler“, sondern viel eher eine bewusste Entscheidung. Europäische Länder und die USA sind bereit, Millionen Dollars in den palästinensischen Gebieten zu investieren für den Wideraufbau von Schutt, der erst entstanden ist durch den Einsatz amerikanischer und vielleicht auch europäischer Waffen. Diese Dollars werden gegeben für eine von Israel verursachte menschliche Katastrophe. Europa und die USA sind bereit, Zelte, Verpflegung und Wasser zu finanzieren, um damit eine Führerschaft in Schach zu halten, die gefesselt ist durch diese Gaben. Diese Führerschaft verspricht im Gegenzug, die Ruhe und Ordnung nicht weiter zu stören. Das bedeutet nicht Gerechtigkeit und Rechte für die Palästinenser, Rechte, die der Westen hoch in Ehren hält, nein, das ist die Aufrechterhaltung der „Stabilität“.

Deutschland und Österreich sind dabei besonders zu erwähnen. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Europäische Union einfach Israel unterstützen muss, der Schuldgefühle wegen über die Ermordung der europäischen Juden unter deutscher Besatzung und wegen der moralischen Verpflichtung der direkten Folge dieses Kapitels der Geschichte: dem Staat Israel.

Hinter dem Holocaust versteckt werden die wahren westlichen Interessen gar nicht erst erwähnt: Die richten sich auf die Kontrolle von Öl- und Gas-Ressourcen, Schutz der Märkte und die Bewahrung der „Sicherheit“ Israels als einer zum Westen gehörenden Macht, die wahrgenommen wird als ein stabiles Gebilde, das die Veränderungen in der Region in Schach halten kann.

Wenn die Sicherheit von Juden in Nahost wirklich im Interesse Europas läge, vor allem in dem von Deutschland und Österreich, dann würden sie nicht immer weiter die israelische Besatzung unterstützen. Sie würden Israel nicht kontinuierlich grünes Licht zum Töten und Zerstören geben.

[ Original-Artikel (in Englisch) ]

(Deutsch: E. MzU)