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16. September 2013 - Rolf Verleger:

Die Initiative 27. Januar legte den Direktkandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien unter dem Logo "Wahlprüfsteine 2013 Deutschland-Israel" fünf Fragen vor. Prof. Dr. Rolf Verleger (*), Mitglied des KV Lübeck der Grünen, schlug dem Vorstand des KV folgende Antworten vor:

  1. Im Jahr 2015 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges und das Ende des Holocaust zum 70. Mal. Zudem bestehen im Jahr 2015 die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel seit 50 Jahren. Welche Bedeutung haben diese Jahrestage aus Ihrer Sicht?
    • Der Jahrestag der Niederlage Nazi-Deutschlands und der Befreiung von der NS-Diktatur zeigen als nun lange vergangenes, historisches Ereignis: Selbst nach den größten Verbrechen und den übelsten Grausamkeiten besteht die Chance für einen Neuanfang, in dem Moment, in dem man sich dieser Vergangenheit stellt und an sie erinnert. Mein Vorbild für eine solche Haltung ist mein Vater, dem die Auschwitz-Nummer eintätowiert war, dessen Frau und Kinder dort ermordet wurden, und der 1948 eine andere Überlebende heiratete - meine Mutter - und drei neue Kinder in die Welt setzte.
    • Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel unter Bundeskanzler Erhard war die Fortsetzung der Politik Adenauers, durch Wohlverhalten gegenüber Israel den Eintritt in die westliche Gemeinschaft abzusichern. Dies hatte wenig mit der erst später einsetzenden Bereitschaft zu tun, sich der Nazi-Vergangenheit wirklich zu stellen.
  2. Der Staat Israel wird immer wieder und auch dauerhaft angefeindet und bedroht, insbesondere vom Iran, von der Hisbollah und von der Hamas. Wie sollte Deutschland Ihrer Meinung nach darauf reagieren?
    Der Staat Israel ist 1948 im Rahmen einer Vertreibung und Enteignung der arabischen Bevölkerung Palästinas entstanden und dehnt sich auch gegenwärtig noch weiter auf Kosten der arabischen Bevölkerung aus. Daher ist es leider selbstverständlich, dass er angefeindet wird. Eine vorausschauende Politik muss hier einen Ausgleich suchen. Wesentlicher Bestandteil dieses Ausgleichs ist die Anerkennung der israelischen Schuld von 1948 und entsprechende Entschädigungsanstrengungen gegenüber den Vertriebenen und ihren Nachkommen.
  3. Der vom Deutschen Bundestag initiierte Antisemitismusbericht und weitere aktuelle Untersuchungen weisen darauf hin, dass in Teilen der deutschen Bevölkerung antisemitische Ansichten und Einstellungen vorhanden sind. Zudem kam es auch zu antisemitischen Aussagen und Übergriffen. Was sind Ihre Ansätze, um von politischer Seite her konkret etwas hiergegen zu tun, auch im Zusammenwirken mit zivilgesellschaftlichen Initiativen?
    Der Antisemitismusbericht der Bundesregierung fasste einige ältere Daten zusammen und berichtet wenig Neues. Wie neuere differenzierte Studien belegen (z.B. W. Kempf, Wissenschaft und Frieden 2013), gibt es zwei Arten von negativen Einstellungen gegenüber Juden/Israel:
    a) die "rechte", antisemitische Einstellung. Bei diesen Leuten geht dies einher mit einem ähnlich großen Vorurteil gegen Moslems (und teilweise einer daher rührenden Unterstützung Israels).
    b) die "linke" friedensorientierte Einstellung. Israel wird hier kritisiert, weil es als Teil der westlichen Welt gegen zentrale Normen dieser Welt verstößt.
    Einstellung (a) ist als Teil der allgemeinen Fremdenfeindlichkeit durch geeignete politische, soziale, wirtschaftliche und pädagogische Maßnahmen zu bekämpfen, wie es in den letzten Jahrzehnten erfreulicherweise viele gegeben hat. Von Verboten halte ich nichts.
    Einstellung (b) ist völlig berechtigt und durch die Politik zu fördern, auch und gerade mit dem Ziel, ein Überschwappen der berechtigten Kritik an Israel in Feindschaft gegen Juden zu verhindern. Ein solches Überschwappen würde dadurch gefördert, wenn die Bevölkerung das Gefühl vermittelt bekommt, dass Israel eine Sonderstellung über den völkerrechtlichen Normen habe.
  4. Die Europäische Union bringt sich in politischen Fragen gegenüber Israel und seinen Nachbarn im Nahen Osten ein. Wie schätzen Sie die EU-Nahost-Politik ein und welche Rolle sollte Deutschland hierbei in der EU einnehmen?
    Deutschland und die EU sollten darauf drängen, dass Israel Frieden und Ausgleich mit seinen palästinensischen Bewohnern, den Nachkommen der Vertriebenen und seinen Nachbarstaaten anstrebt. Die bisherige Politik der Bundesregierung war in dieser Beziehung viel zu zögerlich und unterstützte vielmehr die israelischen Rechtsnationalisten in ihrem selbst- und fremdgefährdenden Kurs.
  5. Die deutsch-israelischen Beziehungen sind von vielfältigen Kontakten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und weiteren Bereichen geprägt. Wie kann die deutsch-israelische Zusammenarbeit und Freundschaft gefördert und weiter ausgestaltet werden, konkret auch im Kontext Ihres Wahlkreises?
    Eine weitere Förderung der deutsch-israelischen Beziehungen kann und muss den Aspekt des Ausgleichs zwischen jüdischer und arabischer Bevölkerung Israels und Palästinas in den Mittelpunkt stellen.


(*)
2001-2005 Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Lübeck,
2005-2006 Vorsitzender des Landesverb. "Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein",
2005-2009 Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland,
Buchautor "Israels Irrweg. Eine jüdische Sicht." (3. Aufl. 2010)